Unsere Gemeindegeschichte

Aus Anlass der 25-Jahr-Feier am 21.3.2010 wurde in den „Vöcklabrucker Tips” (Gratiszeitung für den Bezirk Vöcklabruck) ein Artikel abgedruckt, der diese Frage recht gut beantwortet:

TIPS: 25 Jahre Freikirche in Vöcklabrucker: was ist bei der Jubiläumsfeier geplant?

In erster Linie wollen wir Gott danken. Deshalb auch das Motto: „Gott sei Dank!”. Wenn eine Gemeinde aus dem Stand eine Größe und Struktur wie unsere Freikirche erreicht, dann hat das nur den einen Grund: dass Gott seine Hand darüber gehalten hat. Das wollen wir feiern. Wir freuen uns, dass auch der Bürgermeister Mag. Brunsteiner sein Kommen zugesagt hat. Unsere Musikteams sollen zum Einsatz kommen, Leute werden von ihrer Begegnung mit dem „Geburtstagskind” berichten, es wird einen kleinen Beitrag für die Kinder geben: einfach ein toller Jubiläumsgottesdienst.

TIPS: Wie kam es damals zur Gründung der Freikirche?

Es begann damit, dass ein junger Bursche aus Ungenach nach Kanada ausgewandert ist: der Ebner Franz. Er ist dort gleich am Anfang Leuten begegnet, die den Glauben völlig anders gelebt haben, als er es bisher kannte. Er hatte schon immer an Gott geglaubt. Dass es ihn gibt halt. Aber Gott war irgendwie nicht so real für ihn. Das „Vaterunser” war eher Floskel, er hat sich nicht viel dabei gedacht. Deshalb war er überrascht, dass seine neuen Bekannten eine ganz andere Beziehung zu Gott hatten, und ihn wirklich als Vater gesehen haben, der sie kennt und lieb hat. Herr Ebner war davon so beeindruckt, dass er in seiner alten Heimat darüber reden wollte. 1985 hat er mit zwei anderen Familien begonnen, Gottesdienste zu feiern. Zunächst in einem Wohnzimmer in der Dürnau. Dann im Festsaal vom Schloss Wagrain. Und seit auch das zu klein geworden ist im Festsaal der Arbeiterkammer.

TIPS: ist das also eine neue Bewegung, die von Amerika ausgeht?

Beides ist unrichtig: sie ist so alt wie die Reformation, und sie ging von Europa aus. Nicht nur das: auch Vöcklabruck hat dabei eine Rolle gespielt! In der Ausarbeitung von DDr. Franz Satzinger über die Stadtgeschichte von Vöcklabruck wird davon berichtet, dass dem frommen Schneiderehepaar Schiemer im Jahr 1501 ein Sohn namens Leonhard geboren wurde. Der kam durch das Lesen der Bibel zu der Überzeugung, dass Taufe nur dann Sinn macht, wenn der Täufling versteht, was eigentlich damit ausgedrückt werden soll. Innerhalb von 6 Monaten hat er in 28 Städten darüber gepredigt. Mehr als 200 Personen haben daraufhin durch die Taufe öffentlich bezeugt, dass sie an Jesus glauben. Das hat auch in der damaligen Zeit nicht jedem gefallen: mit nur 27 Jahren wurde er zum Tode verurteilt, gefoltert und enthauptet. Laut Dr. Satzinger ist Leonard Schiemer der einzige Märtyrer, den unsere Stadt bisher hervorgebracht hat.

TIPS: Was genau ist eigentlich eine Freikirche?

Diese Frage wird sehr oft gestellt. Warum gibt es diese Unterschiede, katholisch, evangelisch, und jetzt auch noch Freikirche? Ich selbst bin in der evangelischen Kirche aufgewachsen, und bin sehr dankbar dafür. Was ich aber schon als Jugendlicher instinktiv abgelehnt habe, war genau der Punkt „Taufe”, bzw. was dadurch ausgedrückt wurde: Eltern, die nicht viel mit Gott und Kirche am Hut hatten, haben ihre Kinder zur Taufe gebracht. Und versprochen, sie im christlichen Glauben zu erziehen. Und der Pfarrer hat getan, als seien sie eh alle gute Christen, als sei eh alles in Ordnung. Das empfand ich einfach als Heuchelei. Bestärkt hat mich da ein Bibelvers aus dem Johannesevangelium. Dort steht: „Er [Jesus] kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben” (Johannesevangelium. Kapitel 1, Verse 11+12). Das heißt, wenn man es genau liest: zu Gott darf eigentlich nur der „Vater” sagen, der Jesus bewusst in sein Leben aufgenommen hat. Genau darauf legt eine Freikirche wert: nur wer ausdrücklich sagt, dass er an Jesus Christus glaubt, und sich als Zeichen dafür taufen lässt, der kann Glied einer Freikirche sein.

TIPS: Danke für das Gespräch, wir wünschen alles Gute zum Jubiläum.

Interviewpartner war Werner Ludwig, Mitglied der Gemeindeleitung.

Ich weiß, „Gemeindegeschichte“ hört sich zunächst mal etwas fad an.

Aber als sich Pfarrer Karl Eichmeyer (Evangelischer Stadtpfarrer in Vöcklabruck von 1928-1968) mit der Geschichte der Stadt befasst hat und dabei auf Leonhard Schiemer gestoßen ist, war er von dessen Leben und Glauben so beindruckt, dass er schrieb:

 „Sein Name soll in unserer Stadt und unserer Gemeinde unvergessen bleiben.“

(„Das Evangelium in Vöcklabruck – 100 Jahre Evangelische Kirche“, S. 32)

Diese Seiten sollen dieses Anliegen unterstützen. Und auch dazu beitragen, dass ein paar andere wichtige Fakten der Geschichte Österreichs, Oberösterreichs und nicht zuletzt unserer Stadt Vöcklabruck während der Reformationszeit in Erinnerung bleiben.

 

Noch ein Wort zu meinen Quellen:

Woher stammen diese Fakten, Zahlen und Daten?

Ich werde einige Fakten nennen, bei denen Sie vielleicht sagen: stimmt das wirklich? Vieles kann heute jeder selbst mit ein paar Klicks im Internet nachprüfen. Aber nicht alles:

  • das im Jahr 1975 herausgegeben Buch von Pfarrer Eichmeyer „DAS EVANGELIUM IN VÖCKLABRUCK – 100 JAHRE EVANGELISCHE KIRCHE“, gibt es meines Wissens nicht im weltweiten Netz.
  • Ebenfalls lesenswert, weil es sich direkt um unsere Stadt handelt, ist die von         DDr. Franz Satzinger im November 2006 erschienene Ausarbeitung:„Vöcklabruck – Stadtgeschichte“, hier besonders das Kapitel 6, ab Seite 265: DIE STADT UND PFARRE VÖCKLABRUCK BIS ZUM ENDE DES DREISSIGJÄHRIGEN KRIEGES         

       Link zum Text

  • Auch das Thema „REFORMATION UND GEGENREFORMATION“ auf der Website des Verbundes oberösterreichischer Museen, April 2014, enthält viele interessante Hintergrundinfos:

      Link zum Text

  • Als letztes, stellvertretend für ganz viele ungenannte Quellen, möchte ich ein 1889 erschienenes Buch von Joseph Jäkel „ZUR GESCHICHTE DER WIEDERTÄUFER IN OBERÖSTERREICH“ nennen, das ich öfter zitieren werde. Download auf der Seite des Landesmuseums:

      Link zum Text

 

Zur Orthographie

Was ich vielleicht auch noch sagen sollte: manche Schreibweise kommt Ihnen vermutlich trotz Rechtschreibreform etwas fremd vor. Zum Beispiel:        „Verächter der Heiligen, Läugner ihrer Fürbitten, Verdienste und Wunder, solle Gefängnißstrafe, oder Landesverweisung treffen.“

Das liegt nicht daran, dass ich etwa kleine Schwächen in der Orthographie hätte. Sondern daran, dass ich oft Quellentexte einfach vom Original vom 16. oder auch 19. Jahrhundert übernommen habe….

 

Kurzübersicht und Links zu den Themen

Für alle, die wenig Zeit haben, aber doch gerne wissen wollen, was sich hinter den einzelnen Überschriften verbirgt.

  • Vöcklabruck vor der Reformation

Die Menschen, nicht nur in Vöcklabruck, sondern in ganz Europa, haben sich zu der Zeit intensiv die Frage gestellt, was mit ihrer Seele nach ihrem Tod passiert. Bzw. was sie dazu tun können, um in den Himmel zu kommen.

  • Geburtsstunde der Reformation in Deutschland und der Schweiz

Die Reformatoren haben ab dem Jahr 1517 „neu“ entdeckt, was eigentlich schon lange bekannt war: in der Heiligen Schrift hat Gott selbst aufschreiben lassen, was Menschen über das Leben und den Tod wissen müssen. Das wichtigste: allein der Glaube an Jesus Christus rettet!

  • Die dritte Ausprägung der Reformation: die „Täufer“

Während die lutherische und die reformierte Kirche das Gemeindeverständnis des Mittelalters beibehielt, wollten einige Männer auch in diesem Punkten ganz zurück zu den Aussagen der Heiligen Schrift: „Bekenntnistaufen“ statt Kindertaufen.

  • Die Reformation erreicht Vöcklabruck

Unglaublich schnell, spätestens 1520, erreichte die reformatorische Lehre unsere Stadt. Und wurde vom Volk begeistert aufgenommen („Kein einziges Haus verblieb beim römischen Glauben“). Nicht aber von der Kirchen- und Staatsleitung: es kam zu massiven Verfolgung, die bei Evangelischen und Freikirchlern unterschiedlich verlief, weshalb sie separat dargestellt wird:

  • Die Evangelische Kirche in Vöcklabruck

Hier hab ich eine Zusammenstellung erstellt, wie Evangelische auf den zunehmenden Druck während der Rekatholisierung reagiert haben, und warum es heute wieder eine, wenn auch vergleichsweise kleine, Evangelische Kirche in Österreich gibt.

  • Die Vöcklabrucker Freikirche im 16. Jahrhundert

Die „Täufer“ waren im ganzen Land, besonders aber in Oberösterreich, sehr verbreitet. Sicher überliefert ist, dass es 1528 eine erste „Vöcklabrucker Freikirche“ gab. In diesem Artikel wird einiges über das Leben dieser Gläubigen angeführt. Außerdem wird Leonhard Schiemer vorgestellt, ein in Vöcklabruck geborener Leiter der Täuferbewegung, dessen Bedeutung erst in den letzten Jahrzehnten so richtig deutlich geworden ist.

  • Lehren der damaligen Freikirchen

Weil es bei Freikirchen keine überörtliche Kirchenleitung gibt, sondern die örtlichen Ältesten dafür verantwortlich sind, die Lehre der Bibel zu praktizieren, war es nicht so einfach, in der ersten Zeit Irrwege zu meiden. Neben der zentralen Bedeutung der Heiligen Schrift und der Rettung allein durch den Glauben wurden folgende Punkte wichtig: Bekenntnistaufe; Kirchenzucht; Abendmahl in biblischer Bedeutung; Absonderung von Sünde, was auch Gewaltlosigkeit beinhaltete; und Verbot von Schwören.

  • Ausbreitung von Österreich in die ganze Welt

Hier werden die einzelnen Stationen der Vertreibung aufgezählt: Mähren, Osteuropa, Amerika…

  • Rückkehr der Freikirchen nach Österreich

Später als die Evangelischen, nämlich erst 1847, gab es in Österreich wieder freikirchliche Gemeinden. In Vöcklabruck gar seit 1985.

 

Soweit die Kurzübersicht. Ich habe versucht, den Inhalt der folgenden Buttons in aller Kürze zusammenzufassen. Empfehle aber doch, die Buttons selbst anzuklicken und die ausführliche Version zu lesen. Weil da einfach spannende Fakten über den Glauben der Freikirchler und über eine prägende Zeit unserer Stadtgeschichte und nicht zuletzt über das Leben eines in jener Zeit sehr bekannten Vöcklabrucker Bürgers zu erfahren sind…

Viele neue und interessante Einsichten durch das Eintauchen in die Zeit unserer Urururur… großeltern wünscht Ihnen

 

Werner Ludwig (Mitglied der Gemeindeleitung der Vöcklabrucker Freikirche)

Wieder zurück zum Ausgangsthema: Freikirche in Vöcklabruck.

Warum gibt es nicht nur die „eine“ Kirche, wie sie im Neuen Testament beschrieben wird?

 

Die Fragen der Menschen: „Was passiert nach meinem Tod?“

Unbestritten, auch von katholischer Seite, ist folgende Tatsache: die Kirche des

16. Jahrhunderts hatte sich entfernt von zentralen Lehren der ursprünglichen Kirche.

Wir werden gleich sehen, wie weit.

Im 15. und 16. Jahrhundert ist in unserem Land ganz stark die Frage aufgekommen:

„Was passiert nach dem Tod? Wird Gott mir gnädig sein?“

Es kommt uns fremd vor, dass Menschen diese Sorge haben. Aber sie wurde damals ausgelöst dadurch, dass der Tod allgegenwärtig war:

  • Seit 1473 bedrängten die Türken den Osten des Reiches, was Geld und das Leben von Soldaten kostete
  • Außerdem wird das Land von Krankheiten heimgesucht: Pest, Aussatz und seit 1495 der „Französischen Krankheit“ (Umschreibung für Syphilis)
  • Und: den Bauern ging es schlecht: sie waren wegen willkürlicher Steuern und Zöllen der Dienstherren nahe am Verhungern.

Das alles hat zu innerer Verunsicherung und zu äußerem Chaos geführt. Die einzelnen Stände sind gegeneinander aufgetreten: Ritter und Bürger gegen die Bauern, diese gegen die Verwaltung usw.  Zitat: „Es war keine Ordnung mehr“ (Karl Eichmayer).

Bsp. aus Vöcklabruck: Die Weinsteuer, die Graf Albrecht von Wagrain erhebt, verbittert die Bürgerschaft so dass sie die Sturmglocke läutet, nach Wagrain stürmt und den Grafen erschlägt….

(aus „Das Evangelium in Vöcklabruck“, Karl Eichmeyer, S.28)

Die Menschen waren ständig mit dem Tod von Angehörigen und Bekannten konfrontiert. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag um die 40 Jahre.

So kam es zu diesen Fragen:  „Was kommt danach? Was kann ich tun, damit Gott mich annimmt? Was kann ich für meine Angehörigen tun?“

 

Die Antwort der Kirche: „Tu was für deine Seele!“

Die Lehre der Kirche damals, etwas überspitzt formuliert: „Dich erwartet das Fegefeuer. Aber: du kannst dich freikaufen.“

Etwas weniger drastisch ausgedrückt auf der Website des „Verbundes der oberösterreichischen Museen“:

„Das alles organisierende Zentrum des spätmittelalterlichen Stiftungswesens bildete die Eucharistie, verstanden als ein Opfer, das der geweihte Priester stellvertretend Gott darbringt. Der Fromme stiftete nun die Mittel, damit jährlich, wöchentlich oder gar täglich eine Messe „gelesen“ wurde, mit der dann ihm selbst oder den von ihm Bestimmten Gottes Gnade erworben wurde.“

Wie das in Vöcklabruck empfunden wurde, beschreibt Pfarrer Eichmeyer so (S.40):

Die Angst vor dem Fegefeuer lag als schwere Last auf dem Volk und wurde in klingende Münze verwandelt. Als sicherer Schutz wurde das „Große Seelgerät“ empfohlen, ein 30-tägiges System von Gebeten, Messen und Grabumgängen, das ein Vermögen kostete und manchen um Haus und Hof brachte. In einer Beschwerde der Stände vom Jahr 1524 wird geklagt über das Drängen der Priester auf Seelgerät und Verweigerung der geweihten Erde, falls es nicht bestellt wird.“

Bsp. aus Vöcklabruck:Am 7.Mai 1390 stiftete Paul der Chrewspeckh (Bäckermeister) und seine Frau Agnes ein Haus am oberen Stadttor und einige Äcker der Kirche. Dafür müssen jährlich am 7.Mai zwei gesungene und sechs gesprochene Messen für das Seelenheil der Verstorbenen gefeiert und jeden Samstag eine Gedächtnismesse für immerwährende Zeiten gehalten werden.

(aus „Das Evangelium in Vöcklabruck“, Karl Eichmeyer, S.22)

Wir sehen: die Leute haben zwar getan, was die Kirche ihnen gesagt hat. Aber die Kirche steckte in Glaubwürdigkeitsproblemen. Nicht nur wegen dem Druck in Zusammenhang mit dem Seelenheil. Sondern noch aus anderen Gründen:

  • Das Papsttum war auf einem Tiefstand, nachdem sich im 14. Und 15. Jahrhundert  mehrere Päpste und Gegenpäpste in Rom und Avignon gegenseitig verbannt hatten
  • Manchen Pfarrern ging es mehr um Geld als um Geistlichkeit. Die Pfarrpfründe waren sehr attraktiv: der Pfarrer von Schöndorf z.B. war einer der größten Grundbesitzer des Landes und hatte damit ein gutes Einkommen. Um Inhaber so einer Pfarrpfründe zu werden, musste man aber kein Theologe oder geweihter Priester sein. Sondern man musste über entsprechende Beziehungen verfügen….  Die Pfarrer mussten dafür nicht mal im Gemeindegebiet wohnen.

Bsp. aus Vöcklabruck:Im 15. Jahrhundert hatte Vöcklabruck fünf Pfarrer, die als Domherren in Passau die Erträge aus der Pfarre aufbrauchten, und vier weitere, die als Hofkaplane in Wien lebten. Gottesdienste und Amtshandlungen wurden von Vikaren verrichtet, die meist recht kümmerlich von den Gebühren für Amtshandlungen lebten…

Es wird berichtet, dass die Gebühren für „Amtshandlungen“ wie Taufen und Beerdigungen willkürlich erhöht wurden, was zu einer weiteren finanziellen Belastung der einfachen Bevölkerung geführt hat.

In Deutschland wurde die finanzielle Seite noch stärker betont:

Für den Bau des Petersdoms in Rom hat der Papst die nötigen Finanzen dadurch versucht aufzubringen, dass er sog. „Ablass-Briefe“ verkaufen ließ: je nach Höhe des bezahlten Betrages wurde die Zeit im Fegefeuer um Jahre verkürzt oder auch für immer erlassen.

Der berühmt gewordene Verkaufsslogan lautete: „Wenn das Geld im Kasten klinkt, die Seele aus dem Fegfeuer springt.“

Dieses Thema Ablass war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Das hat die geistliche Landschaft auf der ganzen Welt so verändert wie nichts davor und danach.

Wir haben gesehen, dass die römische Kirche Sündenvergebung „verkaufte“. Sogar für Sünden, die noch gar nicht begangen wurden, konnte man Ablass erwerben, um dann unbesorgt zu sündigen.

Dagegen wendet sich nun ein frommer Augustinermönch, Dr. Martin Luther, Professor in Wittenberg. Er schlägt 1517 eine Auflistung von „95 Thesen“ an seine Kirchentür, in der die Praxis des „Ablasses“ für Sünden abgelehnt wurde.

Als Beispiel die 36. These: „Jeder wahrhaft reumütige Christ erlangt vollkommenen Erlass von Strafe und Schuld; der ihm auch ohne Ablassbriefe zukommt.“

Was relativ harmlos begann, mit einer Kritik an der Ablass-Praxis, hat sich schnell zu einer Grundsatzdiskussion ausgeweitet: Wer entscheidet darüber, war richtig ist und was nicht?

                                         

Martin Luther. Porträt von 1529, Lucas Cranach der Ältere

 

Allein die Heilige Schrift

Dieser unbedeutende Augustinermönch stellte sich gegen den mächtigen Papst und die offizielle Kirche, weil er von folgender Aussage überzeugt war, die zu einem der vier theologischen Grundsätze der Reformation wurde:

Sola scriptura: „allein die (Heilige) Schrift”

ist die Grundlage des christlichen Glaubens.

Das bedeutete: selbst wenn der Papst oder Beschlüsse von Konzilen anders lehren als die Heilige Schrift, dann ist maßgeblich, was die Schrift sagt.

 

Bibel contra römische Lehre

Einmal angefangen, wurde das konsequent umgesetzt: alle Lehren und Praktiken der Kirche kamen auf den Prüfstand der Bibel. Alles, was sich an Traditionen eingeschlichen hatte, wurde hinterfragt.

Was folgende Ergebnisse brachte:

  • Heilige: die Bibel sagt nicht, dass man zu ihnen um Hilfe beten soll bzw. dass ihre „überzähligen Werke“ den Lebenden nützen
  • Fegefeuer: kein Wort davon in der Bibel
  • Maria: eine von Gott besonders auserwählte Frau. Aber keine „Mittlerin der Gnade“, die man anrufen soll
  • Eucharistie: die „Wandlung“ in das Fleisch und Blut Christi wurde als „Zauberei“ gesehen, eigentlich geht es um eine symbolische Handlung „zum Gedächtnis“. Außerdem setzt Christus das Abendmahl mit Brot und Wein („beiderlei Gestalt“) ein, nicht nur Brot
  • Gebete und Messen für Tote: hat keinen Einfluss auf die Zeit nach dem Leben
  • Beichte: Sünde ist Gott zu bekennen, nicht dem Priester. Gott vergibt, nicht der Priester
  • Und schließlich der Papst: er wurde geradezu als „Gegen-Christus“, als Anti-Christ, gesehen, der die Tat von Jesus Christus durch seine Ablasslehre, durch die Werke der Heiligen, durch die Stellung von Maria usw. verdunkelt

Das ist ein weiterer wichtiger Grundsatz der Reformation:

Solus Christus:„allein Christus” ist der Weg zu Gott.

 

Allein Jesus Christus ist der Weg zu Gott

Die Frage, wie ein sündiger Mensch nach seinem Tod vor Gott bestehen kann, wird vonJesus Christus selbst eindeutig beantwortet:

„Niemand kommt zum Vater als allein durch mich!“ (Johannesevangelium, Kapitel 14, Vers 6)

Weder Maria noch Heilige oder der Papst können als Mittler zwischen Gott und Mensch auftreten. Allein Christus ist der Mittler. Sein Tod ermöglicht dem, der ihn in sein Leben aufnimmt, das Recht, Kind Gottes zu werden. (Joh.1,12).

 

Luther wurde für vogelfrei erklärt: konnte straffrei getötet werden

Für Papst Leo X. war Martin Luther ein Ketzer, den er mundtot machen wollte. Er verweigerte sich auch den Reformbestrebungen anderer innerhalb und außerhalb der Kirche, und exkommunizierte Luther (Kirchenbann).

Kaiser und Fürstenverstanden sich als die von Gott eingesetzten Bewahrer der weltlichen Ordnung und Schutzherren der Kirche, und fühlten sich deshalb zuständig für das Seelenheil der Untertanen. Aus diesem Grund sahen sich die in Spanien streng katholisch erzogenen habsburgischen Brüder Karl V. (1500–1558, Kaiser bis 1556) und Erzherzog Ferdinand I. (1503–1564, Kaiser ab 1558) Gott gegenüber verantwortlich für die Bekämpfung der Reformation. Zugleich bedeutete dieser Übergang vieler Untertanen zur Reformation aber auch Ungehorsam gegenüber dem Herrscher, ja Rebellion. Damit ist verständlich, warum sowohl Karl – der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches – als auch Ferdinand – der Erzherzog von Österreich – so viel Energie in die Abwehr der Reformation investierten.

Wer also eine andere als die „offizielle“ Kirchenlehre vertrat, der wurde, falls er nicht zurückzog:

  • zunächst als „Ketzer“ vom Papst exkommuniziert,
  • und dann vom Kaiser unter die „Reichsacht“ getan, d.h. er war vogelfrei: wer wollte, konnte ihn den Gerichten übergeben oder sogar selbst ungestraft töten.

Genau das war das Vorgehen bei Martin Luther: er war bereits vom Papst exkommuniziert worden. Da für die Reichsacht eine Anhörung nötig war, wurde er auf den Reichstag zu Worms im Jahr 1521 eingeladen. Ihm wurde die Reichsacht angedroht, wenn er nicht widerruft.

Nach einem Tag Bedenkzeit und im Wissen, dass dies seinen Tod bedeuten könnte, lehnte Martin Luthermit folgender Begründung ab:

„[Da] … mein Gewissen in den Worten Gottes gefangen ist, ich kann und will nichts widerrufen, weil es gefährlich und unmöglich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“

Woraufhin ihn Kaiser Karl V. mit der Reichsacht belegt: er sollte inhaftiert werden, die Lektüre und Verbreitung seiner Schriften wurde verboten.

Sein Kurfürst Friedrich der Weise befahl seine Entführung und ließ ihn auf der Wartburg verstecken, was ihm vermutlich das Leben rettete.

 

Bibeln und Gottesdienste in deutscher Sprache

Nun war ausgerechnet in jener Zeit die Buchdruckerkunst erfunden worden: die Gedanken und Lehren Martin Luthers verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in ganz Europa. Selbst der „Mann von der Straße“, der vorher keine Bibel lesen konnte, weil es sie nur in der lateinischen Übersetzung gab, konnte ab 1522 Luthers Übersetzung des Neuen Testaments in deutscher Sprache erwerben. Auch dass Luther dafür eintrat, die Gottesdienste in deutscher Sprache abzuhalten und nicht wie bisher auf Latein, trug dazu bei, dass viele Menschen zum ersten Mal in der Lage waren, die biblischen Lehren mit der kirchlichen Praxis zu vergleichen.

Die Lehren Luthers waren die entscheidende Inspiration auch für andere, über diese Themen nachzudenken. Es gab damals eine Unmenge mehr oder weniger ernstzunehmender Prediger, die teilweise abstruse Lehren verbreiteten. Manche hatten Prophetien über das „unmittelbar bevorstehende Ende der Welt“. Andere haben die „Freiheit in Christus“ so verstanden, dass die Gutsherren abgesetzt werden sollten (was u.a. ein Grund für die Bauernkriege war). 

 

Die drei Ausprägungen der Reformation

Aber letztlich haben sich drei Ausprägungen der Reformation herauskristallisiert und durchgesetzt:

  • Einmal die nach Dr. Martin Luther benannte „lutherische Kirche“. Zu den wichtigsten Bekenntnisschriften gehört das im Jahr 1530 verfasste „Augsburger Bekenntnis (siehe in Österreich die Bezeichnung „Evangelische Kirche AB“ = Augsburger Bekenntnis).
  • Eine weitere Ausprägung ist die auf Ulrich Zwingli in der Schweiz zurückgehende „reformierte Kirche“ mit dem „Helvetischen Bekenntnis“ von 1536 bzw. 1561 („Evangelische Kirche HB“)
  • Und schließlich das, was man jetzt als Freikirchen bezeichnet. Zuerst wurden diese Leute „Wiedertäufer“ genannt, später hat sich der Name „Täufer“ durchgesetzt.

Wer gehört zur Kirche dazu? Alle? Oder nur, wer glaubt?

Weil dieses Thema so grundlegend ist für das Verständnis von Freikirchen, hab ich mir erlaubt, recht ausführlich die Quellen aus jener Zeit zu zitieren. Ich nehme billigend in Kauf, dass die Ausarbeitung dadurch weiter an Länge zunimmt…

Der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli hatte einen Bibelkreis, in dem gemäß des Grundsatzes „sola scriptura – allein die Schrift“ eifrig geforscht wurde. Als sie die Bibel zum Thema „Taufe“ studiert haben, sind sie zu folgender Erkenntnis gekommen:

„Es begab sich, dass Ulrich Zwingli, Conrad Grebl, einer vom Adel, und Felix Mantz, alle drei fast erfahrene und gelehrte Männer in teutscher, lateinischer, griechischer und auch hebräischer Sprache, zusammenkamen und sich mit einander besprachen in Glaubenssachen. Und (sie) haben erkannt, dass die Kindertaufe unnötig sei und der Einsetzung Christi ganz zuwider.“

Alle im Kreis, auch Zwingli, waren sich einig, dass die Taufe von Kindern nicht von Christus angeordnet sei. Die Einigkeit endete aber an der Frage, welche Folgen diese Erkenntnis haben sollte:

 „Die zween aber, Konrad und Felix, haben im Herrn erkannt und geglaubt, man müsse nach christlicher Ordnung und Einsetzung recht getauft werden, weil Christus selbst sagt: „Wer glaubt und getauft ist, der wird selig.

Das hat Ulrich Zwingli, welchem vor Christi Kreuz, Schmach und Verfolgung grausete, nit gewollt und fürgegeben, es würde einen Aufruhr abgeben. Die andern zween aber sprachen, man könne um deswillen Gottes lautern Befehl und Angeben nit unterwegen lassen.“

Ich hoffe, auch ohne Übersetzung in heutiges Deutsch ist verständlich, warum Zwingli einen Aufruhr befürchtete, wenn die Kindertaufe nicht mehr vollzogen werden würde:

Er sah richtig voraus, dass das zu einer Spaltung in der Bevölkerung führen würde.

Bis dahin galt: wer in einem „christlichen“ Land geboren wurde, der wurde auch „christlich“ getauft und ab diesem Zeitpunkt als „Christ“ bezeichnet und war Glied derselben Kirche.

Das würde sich dramatisch ändern, wenn nur die getauft würden, die wirklich glauben. Denn das würde bedeuten, dass es zwei Gruppen von Menschen gibt: die „Christen“, die ihr Bekenntnis zu Christus durch die Taufe deutlich gemacht haben, und dann zur Kirche gehören. Und alle anderen, die nicht in die Kirche aufgenommen werden können.

Und genau das war die Angst von Zwingli, später von Luther, später von den Kaisern: Wenn es eine „Sonderkirche“ nur für die Gläubigen gibt, und Nicht-Glaubende nicht dazugehören, dann geht die Einheit verloren!

Es ging also um die Frage:

  • Weiter wie bisher, und alle als Kinder getauften gehören zur Kirche.
  • Oder: Tun, was die Bibel anordnet; nur taufen, wer glaubt, und nur sie bilden die Kirche.

Unabhängig von diesem Bibelkreis in Zürich sind viele andere in Europa zeitgleich zu diesen Ansichten gekommen: zuerst der Glaube. Dann die Taufe. Einer spielte eine wichtige Rolle: Jörg, genannt Blaurock, ein Pfarrer aus dem St.Luciusstift in Chur kam zu Zwingli, um mit ihm genau darüber zu reden. Aber: Zwingli ging nicht darauf ein. Es wird berichtet:

„Da ward ihm gesagt, dass andere Männer da seien, die eifriger seien; und da ist er zu ihnen (nämlich Grebl und Manz) gekommen . . . . hat mit ihnen geredet und sich besprochen. Sind auch der Sachen eins geworden und haben erkennt und befunden, dass man (zuvor) einen rechten, in der Liebe thätigen Glauben müsse erlernen, und (dann erst) auf den erkannten und bekannten Glauben die rechte christliche Taufe . . . . empfangen.“

Die Sache griff um sich: immer mehr junge Eltern ließen ihre Kinder nicht mehr taufen, sondern wollten warten, bis sie sich selbst für den Glauben entscheiden konnten. Das zwang den Rat der Stadt Zürich zum Handeln: am 21. Januar 1525 gab er einen Erlass heraus: wer seine Kinder nicht innerhalb von 8 Tagen taufen ließe, werde des Landes verwiesen!

 

Nach 1000 Jahren Unterbrechung die ersten „Bekenntnistaufen“

Über den Abend dieses Tages wird folgendes berichtet (all diese Berichte übrigens aus dem „Geschichtsbuch der Hutterischen Brüder“), was ich ungekürzt wiedergebe, weil es so ein historisch wichtiges Ereignis war:

„Und es hat sich begeben, dass sie bei einander gewesen sein, bis sie die Angst angieng. Da haben sie angefangen, ihre Knie zu beugen vor dem höchsten Gotte im Himmel, und ihn anzurufen als einen herzenskundigen, und gebeten, dass er ihnen wolle geben, seinen göttlichen Willen zu thun, und . . . . Barmherzigkeit wolle beweisen. Denn Fleisch und Blut und menschlicher Fürwitz hat sie gar nit getrieben, weil sie wol gewusst, was sie darüber werden dulden und leiden müssen.

Nach dem Gebete ist der Jörg vom Hause Jacob aufgestanden und hat um Gottes willen den Konrad Grebl gebeten, dass er ihn taufen wolle mit der rechten christlichen Taufe auf seinen Glauben und Erkenntnis. Und da er niedergekniet mit solcher Bitt und Begehren, hat der Konrad ihn getauft, weil sonst kein verordneter Diener zu solchem Werk vorhanden war. Wie nun das geschehen ist, haben die andern gleicherweise von dem Jörg begehrt, dass er sie taufen solle, welches er auf ihr Begehrn auch gethan. Und haben sich also . . . . dem Herrn ergeben und angefangen, den Glauben zu lehren und zu halten. Damit ist die Absonderung von der Welt und ihren bösen Werken angebrochen und fortgewachsen.”

Wikipedia meint dazu: Nach John A. Moore waren diese Ereignisse „die Geburtsstunde der Täuferbewegung“ und der „ganzen Freikirchenbewegung wie wir sie heute kennen“.

Jetzt ist auch verständlich, wie es zum Namen „Freikirche“ kam:

  • Vorher gab es die „Staats- oder Landeskirchen“, deren Mitglieder deshalb dazu gehörten, weil sie Bewohner dieses Landes waren. Sie waren gleich nach der Geburt durch die Taufe aufgenommen worden.
  • „Freikirchen“ dagegen werden von Personen gebildet, die sich bewusst und „freiwillig“ entschlossen haben, Jesus Christus als Herrn über ihr Leben anzuerkennen. Sie bezeugen ihren Glauben, indem sie sich auf den Namen ihres Herrn Jesus Christus taufen lassen. Und werden danach in die Gemeinde aufgenommen.

Das ist also die dritte Ausprägung der Reformation, der sog. „radikale Flügel“, weil sie konsequent zu den Wurzeln der Heiligen Schrift zurück wollten. Felix Manz und Konrad Grebel werden allgemein als „Gründer“ der Bewegung angesehen, die im Jahr 1525 in Zürich mit der Taufe der ersten Erwachsenen entstand. Aber auch für sie gilt: sie wollten nichts Neues begründen, sondern zu dem zurück, was im Neuen Testament schon lange angeordnet war.

Felix Manz wird 1527 in der Limmat ertränkt. (Darstellung aus dem 17. Jahrhundert)

Damals wurden diese Leute „Wiedertäufer“ genannt, weil sie nach der Kindertaufe „noch einmal“ taufen würden. Sie selbst sahen es nie als zweite Taufe, weil der „Kindertaufe“ der Glaube fehle und es deshalb gar keine „biblische Taufe“ sei. Das wurde später allgemein akzeptiert, so dass man in der Folge nur von „Täufern“ sprach.

 

Übereinstimmungen und Unterschiede der drei Ausprägungen

Volle Übereinstimmung aller drei Ausprägungen in der Frage der sog. Rechtfertigung: „Wie werde ich Gott recht?“ Antwort der Protestanten:

  • Allein die Schrift ist maßgeblich für alle Fragen des Glaubens und des Lebens.
  • Allein Christus ist der Weg zu Gott.
  • Allein aus Gnade hat Gott seinen Sohn geopfert.
  • Allein durch den Glauben an Christus ist Rettung möglich.

Unterschiede zwischen lutherisch und reformiert:Luther und Zwingli waren sich in allen Lehrfragen einig bis auf eine einzige: wie das Heilige Abendmahl zu verstehen ist. Aber auch da war der Unterschied so gering, dass sich beide Flügel später zur „Evangelischen Kirche“ zusammengeschlossen haben.

Unterschiede zwischen lutherisch, reformiert und den Freikirchen: Luther und Zwingli sind im Verständnis, wer zu einer Gemeinde gehört, katholisch geblieben: jeder Getaufte, egal ob gläubig oder nicht, gehört dazu. Auch egal, ob er nach Gottes Weisung lebt oder nicht.

Während die Freikirchen gemäß ihrem Verständnis von der Schrift sagten:

  • nur wer zu Christus gehört und nach den Anweisungen der Schrift leben will, wird getauft.
  • Nur wer getauft ist, wird in die Gemeinde aufgenommen.
  • Und: die Gemeinde besteht zwar aus Sündern, aber sie müssen ihre Sünde bereuen und lassen. Wer dazu nicht bereit ist, wird ausgeschlossen.

Auch Zwingli und sogar Luther haben zunächst zugestimmt, dass Gemeinde eigentlich nur aus bekennenden Gläubigen bestehen sollte. Aber sie haben die radikalen Veränderungen gescheut, die das haben würde. Luther hat gesagt: „Eine rechte christliche Kirche aufzurichten ist mir nicht möglich, weil mir die Personen mangeln.“

 

Persönliches Empfinden bei Kindertaufen

Hier möchte ich mir erlauben, ein paar persönliche Sätze einfließen zu lassen: als Teenager und Jugendlicher war ich regelmäßiger und überzeugter Kirchgänger. Ohne ernsthaft über Reformation oder Taufe nachgedacht zu haben. Aber was mich jedes Mal unangenehm berührt hat: bei Taufen wurden die Eltern und Verwandten als „Brüder und Schwestern“ angesprochen. Auch wenn sie keine Christen waren. Auch wenn jeder im Dorf gewusst hat: „Sie versprechen zwar, das Kind im christlichen Glauben zu erziehen, aber sie werden dieses Versprechen nicht einhalten. Sie sind nur wegen der Taufe da, und kommen erst beim nächsten Familienfest wieder.“ Ich empfand das damals als große Heuchelei, als unehrlich. Als ich einige Jahre später zum ersten Mal gehört habe, dass es Freikirchen gibt, zu denen nur die gehören, die sich für Christus entschieden haben, da hab ich sofort das Empfinden gehabt: „Das ist richtig. So soll es nach der Bibel sein.“ Weil ich diesen Eindruck auch bei anderen Themen hatte, bin ich Freikirchler geworden…

Jetzt haben wir gesehen, wo die Wiege der Reformation stand: in Deutschland und der Schweiz.

Für uns wichtig: wie haben die Oberösterreicher, wie die Vöcklabrucker auf diese neuentdeckte alte Lehre der Bibel reagiert?

So, nach dem Abstecher in die Schweiz kommen wir jetzt wieder zurück in unsere Heimat.

Erinnern wir uns: die Angst vor dem Tod hatte zu einem ernsthaften Fragen geführt, was nach dem Tod geschieht. Pfarrer Eichmeyer  (S.40):

Die Angst vor dem Fegefeuer lag als schwere Last auf dem Volk und wurde in klingende Münze verwandelt. Als sicherer Schutz wurde das „Große Seelgerät“ empfohlen, ein 30-tätiges System von Gebeten, Messen und Grabumgängen, das ein Vermögen kostete und manchen um Haus und Hof brachte.

Das also war die Situation vor der Reformation:

  • Große Furcht um das Heil der Seele nach dem Tod
  • Große finanzielle Opfer, um sich und die Seinen „freizukaufen“
  • Auch große Unzufriedenheit mit der Kirche, die für Dienstleistungen wie Taufen und Begräbnisse hohe Abgaben forderte

Kein Wunder, dass die Ideen Martin Luthers im Land ob der Enns ungeheuer schnelle Verbreitung fanden. Und das, obwohl er exkommuniziert war und das Lesen seiner Schriften offiziell unter Strafe stand!

Erklärung auf dem Bild: A. Statt Vöklabruck; B. Im Dörffla; C. Vorstatt; D. Pfarrkirch; E. Schloss Wgrein; F. Schloß Wartenberg; G. Dalheim; H. Fökla flus; I. Ager flus; K. Am Ainwalde

Link: http://de.wikipedia.org/

 

Die lutherische Lehre: mit offenen Armen aufgenommen

Bereits 1520, drei Jahre nachdem Luther seine Thesen zum Ablasswesen veröffentlicht hatte, waren sie nicht nur beim Adel und beim Bürgertum, sondern sogar von einem Teil des Klerus sowie von wirtschaftlich und sozial erschütterten Rittern, Handwerkern und Bauern aufgenommen worden.

Bsp. aus Vöcklabruck: Die Prädikanten werden wie Boten des Himmels begrüßt: zum ersten Mal in der Geschichte kommt das Evangelium in reiner biblischer Gestalt ins Land. Zu Tausenden strömt das Volk herbei, um das Evangelium in seiner ursprünglichen Reinheit zu hören.  (Karl Eichmeyer, S.36)

Besonders wichtig war natürlich, dass gerade der Adel die neue Lehre begrüßt hat.

Manche vielleicht nur, weil dadurch die Macht der Kirche eingeschränkt wurde. Andere aber, weil sie wirklich das Evangelium verstanden haben. Zum Beispiel die Jörgers, Herren von Schloß Köppach bei Atzbach.

Bsp. aus Vöcklabruck: Der Landeshauptmann Wolfgang Jörger schickt seinen Sohn Christoph an den Hof des sächsischen Kurfürsten, um sich im Hofdienst zu üben und auch um die neue Glaubensbewegung kennenzulernen. Beim Überschreiten der sächsischen Grenzen legen er und sein Freund Herr von Wolfstein das Gelübde ab, „fest bei dem päpstlichen Glauben zu bleiben und nicht Lutheraner zu werden“. Schon nach kurzer Zeit erkennt Christoph, dass in Wittenberg nicht eine neue, sektiererische Lehre verkündet wird, sondern dass Menschen „aus biblischer Schrift durch Gottes Werkzeug, den gottseligen Martin Luther, erleuchtet und aus menschlichen Satzungen zur rechten Wahrheit geführet werden.“ Die Bekehrung führt zum brennenden Verlangen, auch in der Heimat das Reformationswerk auszubreiten.  (Karl Eichmeyer, S.33)

Übrigens: Die Mutter von Christoph Jörger, Dorothea, stand 20 Jahre lang in engem Briefwechsel mit dem Reformator Luther und wurde von ihm sehr geschätzt.

Und: Christoph holt den ersten lutherischen Prädikanten nach Österreich.

Geographisch noch näher als die Jörgers stand den Vöcklabruckern das Herrengeschlecht der Pohlheimer. Sie  hatten eine ungeheure Machtfülle: sie waren nicht nur über 300 Jahre lang die Herren von Wartenburg und Timelkam, sondern auch der Hofmarken Regau und Puchkirchen, des Landgerichts Schwanenstadt, und sie hatten Güter in Tolzenbach, Eferding, Gunskrichen, Rohr, Kammer, Kogl und Frankenburg, kauften Puchheim, Litzlberg und die Herrschaft Ort. 

Cyriak von Pohlheim (1495-1533, Landeshauptmann von Oberösterreich ab 1521) schloss sich der Reformation an, obwohl seine Familie seit jeher eine enge Verbindung zum Habsburger Herrscherhaus pflegte und auch er selbst mit Ferdinand I. (seit 1531 König der österreichischen Länder, ab 1556 Kaiser des Römischen Reiches) eng befreundet war.

Dass so ein Mann sich zum Evangelium hielt, hat dem Protestantismus weiter den Weg geebnet.

Die Lehre der Täufer: noch früher als das Luthertum in der Stadt

Tatsächlich: vor mehr als 500 Jahren gab es bereits eine Freikirche in Vöcklabruck! Und zwar noch vor der Evangelischen Kirche:

Pfarrer Eichmeyerschreibt (S.30): „Noch bevor es in Vöcklabruck zu einer refor­matorischen Gemeindebildung kommt, begegnen uns die Wiedertäufer. (…] Sie leben in christlicher Gütergemeinschaft, in sogenannten “Haushaben”, wo gemeinsam produziert und konsumiert wird. Ihr Fleiß, ihre Tüchtigkeit und vollkommene Redlichkeit erwirbt ihnen hohes Ansehen im Volke.“

Wir kommen später auf diese etwas überraschende Sache mit der Gütergemeinschaft zurück.

Hier geht es um die Tatsache, dass die dritte Ausprägung der Reformation sogar früher als die „evangelischen“ Lehre Vöcklabruck erreicht hat.

 

Wie kam die Lehre der Freikirchen so schnell nach Oberösterreich?

Wie wir gesehen haben, wurde die erste „Taufe auf das Bekenntnis“ nach der Neutestamentlichen Zeit im Januar 1525 in Zürich durchgeführt. Gleich darauf wurden die Anhänger der Bekenntnistaufe aus der Schweiz ausgewiesen. Was sie auch befolgten, da ab März 1526 „wiedergetaufte“ Personen in Zürich mit dem Tod durch Ertränken bestraft wurden.

Natürlich haben diese Männer dort, wo sie hinzogen, über ihre Ansichten geredet. Und weil diese Gedanken eh auch schon vorher in anderen Gebieten angedacht worden waren, kam es fast gleichzeitig in Deutschland und Österreich zur Gründung von diesen neuen Gemeinden von bekennenden Christen, die man zunächst Wiedertäufer, danach Täufergemeinden nannte.

Nach Oberösterreich könnte das Täufertum von Tirol aus gekommen sein. Aber das ist eine Vermutung, weil dort die meisten Täufer zu finden waren:

Zitat Jörg, S.713, (zitiert nach Jäkel): „Man wagt nichts, wenn man behauptet, dass um das Jahr 1527 sämtliche lutherische Fürsten und Herren in Deutschland zusammen kaum so viel Wiedertäufer als Untertanen hatten, wie z.B. die Grafschaft Tirol allein.” Zum Beleg eine Zahl:

„In Schwatz waren unter 1200 Einwohnern fast 800 Wiedertäufer.” (Jörg, S. 716, zitiert nach Jäkel).

Keine Vermutung, sondern sicher belegt ist der Einfluss von Bayern her: einer der wichtigsten Verbreiter hier war ein Mann mit Namen Johann (Hans) Hut, geboren in der Nähe von Schweinfurt in Franken. Bereits 1521 (!) wurde er inhaftiert, weil er sich weigerte, seine Tochter taufen zu lassen, also lange bevor dieser Gedanke in Zürich aufkam.

Link: http://www.femonite.com/

Ab 1524 reiste er als Buchhändler, vor allem von lutherischer Literatur, im Lande herum, auch in Oberösterreich.

In Steyr gab es schon seit 1525 eine Gemeinde, die entweder vorher von Hut gegründet worden war, oder auf einen Unbekannten zurückgeht und sowohl zeitlich als auch von der Bedeutung her die erste Gemeinde in Oberösterreich gewesen zu sein scheint. Hut hielt sich 1527 in Steyr auf (allerdings nur kurz, weil er schon im August in Augsburg verhaftet wurde, wo er auch am Jahresende bei einem Gefängnisbrand ums Leben kam) und hat von dort vier Missionare ausgesandt. Unter anderen Leonhard Schiemer, geboren in Vöcklabruck:

„Hut bekennt 26. November 1527 in Augsburg, er habe das Los dermaßen gemacht, wie Hieronymus Hermann (ein Mönch aus Mansee) angezeigt, d. h. er habe zu Steyr 4 Personen auslosen lassen, um sie auszusenden zur Verbreitung des Wiedertaufs. Der eine von ihnen sei Hieronymus Hermann selbst gewesen ; der zweite Leonhard von Pruckh (Lienhart Schiemer von Vöcklabruck) ; der dritte, ein deutscher Herr aus Nürnberg, soll ein deutscher Ordenspriester gewesen sein. Das vierte Los fiel auf Jakob Portner, Kaplan und Prediger des Herrn von Rogendorf im Schlosse zu Steyr. (Nach Einer mir (Jäkel) von Herrn Hofrath etc. Dr. v. Beck, Verfasser der Geschichtsbücher der Wiedertäufer, gütigst zur Verfügung gestellten handschriftlichen Abschrift: „Aus den Untersuchungsacten des gefangenen Hans Hut im Augsburger Stadtarchiv. 1527.)”

Ob Leonhard Schiemer auch die Vöcklabrucker Freikirche damals gegründet hat, wissen wir nicht. Zumindest eine Beeinflussung liegt jedenfalls nahe. Aber Freikirchen waren eh nicht selten in Oberösterreich:

Steyr war vermutlich der Ausgangspunkt, doch bildeten sich in den meisten größeren Orten Zellen. Sie waren in Stadt und Land in allen sozialen Schichten beheimatet, die meisten ihrer Anhänger waren aber Bauern und Handwerker.

Ab 1529 wurde Linz zu einem Zentrum der Täufer: „Erst als die Gemeinde zu Steyr unterdrückt war, ward Linz die Hauptgemeinde des Landes (um 1529)“ (Jäkel)

Damals war es zumindest von außen nicht so eindeutig, wer nun lutherisch und wer täuferisch gesinnt war. Zumindest für den Kaiser war das schwer zu erkennen.

Jäkel schreibt:

„Wenn König Ferdinand in einem seiner Erlässe (vom 11. Mai 1530) klagt, dass die Secte der Wiedertäufer im Lande ob der Enns wie in keinem andern seiner Fürstentümer überhand genommen habe, so wird man, falls nicht etwa eine rhetorische Übertreibung darin gefunden werden wollte, dies wohl dahin verstehen müssen, dass dieser Name hier, wie oft, auch in weiterem Sinne gebraucht wurde. Denn die Zahl der zum zweitenmale Getauften ist an einzelnen Orten, wie Steyr, Linz, sehr groß gewesen; doch war sie im ganzen wohl kaum so groß wie in Tirol, wo Jörg (S. 716) an 1000 Blutzeugen (Märtyrer) der neuen Taufe, außer denen, die revocierten (widerriefen), sich verbargen oder flohen, rechnet.“

Was selbst dem Kaiser aufgefallen ist: die protestantische Lehre ist in Oberösterreich weit verbreitet. Und tatsächlich, von Vöcklabruck wird überliefert:

Bsp. aus Vöcklabruck: „… als auch hier die Reformation einen so völligen Sieg errang, dass kein einziges Haus beim römischen Glauben verblieb.“ (Pfarrer Eichmeyer, S.36)

 

Mandate gegen die Protestanten

Das zitierte Mandat von 1530 weist deutlich darauf hin: der Kaiser war nicht glücklich über die Reformation in unserem Land! Der Wiederstand begann schon im Jahr 1523.

Erinnern wir uns: Der Fürst verstand sich als der von Gott eingesetzte Bewahrer der weltlichen Ordnung und Schutzherr der Kirche, und fühlte sich deshalb zuständig für das Seelenheil der Untertanen.

Erzherzog Ferdinand I. (ab 1531 römisch-deutscher König, ab 1558 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) trat 1521 seine Herrschaft in Österreich an, und nahm den Kampf auf: 

1523erließ er ein Verbot der Schriften Luthers und anderer Reformatoren.

1524sollte eine mit den bayerischen Herzögen Wilhelm IV. (1508-1550) und Ludwig sowie den süddeutschen Bischöfen zur Bekämpfung der neuen Lehre erlassenen »Regensburger Ordnung« im Land ob der Enns eine Verfolgungswelle starten. Alles mit sehr mäßigem Erfolg.

Im August 1527 wurde der Ton noch schärfer: er erließ das sog. „Ketzermandat von Ofen“, von dem Lutheraner, die Reformierten und die Täufer gleichermaßen betroffen waren, indem er folgende Vergehen auflistete:

  • „Verächter der Heiligen, Läugner ihrer Fürbitten, Verdienste und Wunder, solle Gefängnißstrafe, oder Landesverweisung treffen.“
  •  „Wer aber das heil. Abendmahl mit Brod und Wein feiere, den solle man an Leib und Leben strafen, die Häuser, in welchen eine solche Feier Statt gefunden habe, confisciren oder auch niederreißen.“

Ausdrücklich werden dann die Freikirchler erwähnt: ein Ziel war, dass

  • »die ergerliche, abscheuliche, und gotteslästerliche sect der widertauffer mit feur und schwerdt verfolgt und nach müglichkeit ausgerottet werden solle«.

Damit es nicht vergessen wird, „solle dieses Mandat zehn Jahre lang zu Ostern und Weihnachten von den Kanzeln herab verkündigt und in Erinnerung gebracht werden.“   (Aus: Geschichte der deutschen Reformation von 1517-1532: …Christian Gotthold Neudecker – 1843).

Wir sehen:

Der Widerstand des Kaisers richtet sich gegen alle drei Ausprägungen der Reformation.

 

Warum es die Evangelischen zunächst leichter hatten

Was für die weitere Entwicklung der Reformation wichtig ist:

Während fast der gesamte Adel evangelisch wurde, verbreitete sich die Lehre der Freikirchen besonders unter den Handwerkern.

Und das machte den Unterschied aus: aus Rücksicht auf den Adel konnte der Kurfürst seine Mandate gegen die Evangelischen nicht durchsetzen. Denn:

Mit der ungarischen Krone hatte Ferdinand auch den Krieg gegen das Osmanische Reich geerbt (1529 erste Türkenbelagerung Wiens). Die damit verbundene finanzielle Belastung gab den mehrheitlich reformatorisch gesinnten Landständen nun die Möglichkeit, Ferdinand unter Druck zu setzen und eine konsequente Durchführung seiner religionspolitischen Maßnahmen zu verhindern, hatten sie doch schließlich einen Beitrag zu den Kriegskosten zu leisten. Sie beharrten auf dem Recht auf Predigt des „reinen Evangeliums’, und der Landesfürst war machtlos.

So kam damals der Spruch auf: »Der Türk ist der Lutheraner Glück«.

Aber er war nicht „der Täufer Glück“: sie wurden nicht vom Adel geschützt. Sondern die Mandate wurden unerbittlich angewandt.

Aus diesem Grund werden wir jetzt die weitere Entwicklung getrennt ansehen.

Kaiser und Kurfürst hatten alles verboten, was mit der Lehre Martin Luthers zusammenhing. Aber diese Verbote wurden meist nicht durchgesetzt, weil 80 bis 90 % des Adels sich zur Evangelischen Lehre hielt.

 

Leonhard Kaiser, evangelischer Märtyrer

Trotzdem konnte selbst der Adel manchmal lutherische Prediger nicht schützen, wie das Beispiel von Leonhard Kaiser zeigt, der bereits 1527 bei Schärding verbrannt wurde:

Weit über Oberösterreich hinaus bekannt als lutherischer Märtyrer wurde Leonhard Kaiser (Käser), der schon vor 1524 als Vikar in Waizenkirchen im Sinne Luthers predigte und 1526 zum Studium nach Wittenberg ging. 1527 wurde er während eines Besuchs in seinem Heimatort Raab verhaftet und nach Passau gebracht, wo ihm der Ketzerprozess gemacht wurde. Trotz der Intervention hoher Adeliger wie Georg von Schaunberg oder Bartholomäus Starhemberg, aber auch der Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, wurde er zum Tode verurteilt und am 16. August 1527 bei Schärding verbrannt.

Martin Luther persönlich schrieb ihm ins Gefängnis u.a. diesen Trost:

„Dann also sagt S. Paulus Ro.8: Ist Got für uns, wer mag wider uns sein; Psal.8: Alle ding sind unter sein fuß gelegt, er kann und will helffen allen, die angefochten werden, der auch allenthalben versucht ist worden. Also mein allerliebster bruder, sterck dich in dem herrn und sey getrost in seiner großmechtigen krafft, auff das du erfarest, tragest, liebest und lobest auß gutwilligem herzen den veterlichen willen Gottes (Rom. 12.), du werdest ledig (freigelassen) oder nit.

Wie gesagt: in der Anfangszeit war es die Ausnahme, dass evangelische Prediger für ihre Lehre bestraft wurden. Dass „normale“ Gläubige um ihres Glaubens willen leiden mussten, kam zunächst quasi gar nicht vor, –  im Unterschied zu den „Täufern“, wie wir nachher sehen werden…

 

Beginn der Re-Katholisierung: der Zwang zum Besuch der Messe

Die Situation änderte sich dramatisch mit dem Regierungsantritt Kaiser Rudolf II. am 12. Oktober 1576. Der in Spanien erzogene älteste Sohn des moderaten Maximilian II. vertrat eine wesentlich härtere Linie. Bald nach Regierungsantritt setzten die ersten Maßnahmen zur Rekatholisierung vor allem in den Städten ein. Mit kaiserlichem Dekret vom 22. Dezember 1585 wurde jeder evangelische Gottesdienst in den Städten untersagt und das Bürgerrecht an die katholische Konfession gebunden.

Österreich: Ferdinand II. (ab 1619 Kaiser) war seinem Vater 1590 als Landesherr über Innerösterreich nachgefolgt. Er hatte als Zwanzigjähriger  das Gelübde abgelegt: “Ich will lieber über eine Wüste herrschen, lieber Wasser und Brot genießen, mit Weib und Kind betteln gehen, meinen Leib in Stücke hauen lassen, als ein Unheil gegen die Kirche, als die Ketzerei dulden.”

Darum war er bestrebt, im Gegensatz zu seinem Vater die kaiserlichen Vorgaben zur Rekatholisierung mit aller Härte umzusetzen: Den landesfürstlichen Städten und Märkten wurde klargemacht, dass evangelische Bürgermeister, Richter, Räte und Schreiber nicht anerkannt und bestätigt würden. Auch sollten nur römische Prediger eingesetzt werden.

In Oberösterreich, wurde mit Johann Jakob Löbl von Greinburg (1592-1602) daher nach 70 Jahren erstmals wieder ein Katholik als Landeshauptmann bestellt, der die Edikte umsetzte. 

Was für diese Priester zunächst nicht angenehm war, weil von der Bevölkerung ungewollt:

Bsp. aus Vöcklabruck: 1593 wurden einem von St Florian eingesetzten Pfarrer die Pfarrpfründe übergeben. Die Angst, dass nach einer Zeit, in der in der Kirche deutsch gepredigt wurde, jetzt die lateinische Ordnung wieder eingeführt wurde, war so groß, dass  „am 28. März etliche hundert Personen, gößtenteils aus der Bauernschaft, den Pfarrer umringten, einen Ausschuß bildeten und ihn in der Sakristei zunächst „mit Bescheidenheit“ baten, er möge in deutscher Sprache konsekrieren, oder durch einen anderen machen lassen. Als er ausweichend antwortete, erklärten sie, „ehe sie hier Neuerungen duldeten, wollten sie Leib und Gut in die Schanze schlagen; es sei besser, ihn, den Pfaffen, totzuschlagen, als dass die ganze Pfarrgemeinde um ihre Seligkeit gebracht werde.“ (Pfarrer Eichmeyer, S.47)

Auch die Priester der Umgebung hatten es nicht leichter, zum Beispiel in Regau:

Als 1597 „der neue Gesellpriester in Regau das Ave Maria beten wollte, wurde er niedergeschrien  und aus der Kirche gejagt, draußen auch noch mit Steinen beworfen.“ (Eichmeyer, S.52)

Aber die Rückkehr zu katholischen Gottesdiensten war nicht zu verhindern. Weil die Adeligen in ihren eigenen Schlosskirchen zunächst noch evangelische Gottesdienste abhalten konnten, reagierte die Bevölkerung mit „Auslaufen“ zu diesen Pfarrern.

Bsp. aus Vöcklabruck: Der in Vöcklabruck neu installierte Pfarrer Resch sollte zu den katholischen Riten zurückkehren, „was dieser auch mit großem Eifer tat. Er hielt in der Folge an jedem Sonn- und Feiertag Gottesdienste in Schöndorf und Regau ab. Dazu kamen auch noch dreimal wöchentlich Gottesdienste in St. Ulrich, nachdem es ihm unter Druck der Landeshauptmannschaft gelungen war, von der Stadt das St. Ulrich Benefizium zurückzubekommen.“

Ergebnis: „Außer bei den eigenen Untertanen, bei denen er mit dem Verlust ihrer Häuser drohen konnte, wenn sie am katholischen Kirchenleben nicht teilnähmen, konnte sich Pfarrer Resch aber bei den Bürgern nicht durchsetzen. Er hatte bei seinen Gottesdiensten kaum Kirchenbesucher, da das Auslaufen nach Oberthalheim und Puchheim eher zunahm. Auch die Trauungen und Taufen erfolgten auswärts bei evangelischen Prädikanten, sodass dem Pfarrer auch die Stolgebühren entgingen. Selbst der Stadtschreiber und der Aufschläger ließen sich in Oberthalheim trauen. Die Bürger stellten sogar Wachen auf, um zu kontrollieren, wer sich den Aufforderungen zum Besuch der katholischen Gottesdienste gehorsam zeigte.“ (Dr. Satzinger, S.305)

Ferdinand II. erhöhte weiter den Druck: Am 4.Oktober 1624 erscheint sein Reformationspatent, demzufolge alle unkatholischen Prädikanten und Schulmeister das Land verlassen müssen. Und er ging noch weiter: auch der evangelische Adel wurde vor die Wahl gestellt, entweder zu konvertieren oder zu emigrieren.

Damit hatte die Bevölkerung den Schutz des Adels verloren.

Der Steyrer Chronist Zettl berichtet, dass sich im ganzen Land ein großes Wehklagen erhoben hat, „denn es war ja das ganze Land erzlutherisch.“

Da die Bevölkerung in Vöcklabruck zunächst weiterhin nicht in die Gottesdienste mit katholischen Predigern ging, sondern heimliche Zusammenkünfte abhielt, was der Stiftsdechant Kölbl (Nachfolger des verstorbenen Pfarrers Resch) pflichtbewusst nach Linz weitermeldete, wurden folgende Maßnahmen getroffen:

  • die ganze Bevölkerung habe den Gottesdienst regelmäßig zu besuchen und ihm von Anfang bis Ende beizuwohnen. 
  • Für Fernbleiben muss Strafe bezahlt werden: beim ersten Mal 1 Gulden (Kaufkraft heute ca. 40 Euro),  beim 5.Mal 16 Gulden (640,- Euro).  Über die Anwesenheit wurden Listen geführt, die  monatlich nach Linz geschickt wurden, um die Bestrafung einzuleiten.

Und das zeigte Wirkung:

Bsp. aus Vöcklabruck: „Die Folgen:

Ein Teil der Bevölkerung wich dem Druck und ersuchte Pfarrer Kölbl um Aufnahme in die römisch-katholische Kirche.

Ein zweiter Teil der Bevölkerung besuchte neben der Messe heimlich Zusammenkünfte, in denen die Bibel gelesen und die Heilslehre nach dem Evangelium verkündigt wurde.

Ein dritter Teil der Bevölkerung zog schließlich die Auswanderung vor.

So erhielt die hochlutherische Stadt Vöcklabruck nach und nach wieder ein katholisches Gepräge…“ (Karl Eichmeyer, S.64)

„Wenngleich viele Protestanten anstatt des Katholischwerdens oder der äußeren Emigration die innere wählten und ihre Konfession im Geheimen weiterlebten (Geheimprotestantismus), wurde das Land ob der Enns von außen sichtbar wieder ein religiös homogenes Land.

Der Katholizismus prägte nun wieder Landschaft und Mentalität.“ (Günther Wassilowsky, Website des Verbundes Oberösterreichischer Museen)

Nach vorsichtiger Schätzung sind zwischen 1580 und 1732 bis zu 200.000 Personen aus Glaubensgründen (also nicht nur Evangelische, auch Täufer) mehr oder weniger freiwillig emigriert.

Aber: der Bezirk Vöcklabruck wehrte sich bis in die Jahre um 1730:

„In dem Ketzernest Regau treten die Anhänger des Augsburgischen Bekenntnisses so offen auf, dass Probst Johann von St. Florian in einem Brief an den Passauer Bischof von einer Unterdrückung der Katholiken durch die Lutheraner schreibt.  Als der Bischof dann selbst kommt, um Vorträge zu halten, muss er erleben, „dass aus der Jugend nur wenige, von den älteren Leuten fast niemand in der Kirche zu sehen ist.“ (Pfarrer Eichmeyer, S.82)

Als der Schmiedgeselle Daniel Kibler im Jahr 1737 im Vöcklabrucker Pfarrhof verhört wird, erwähnt er einen Löffelhändler aus Ungenach, der mit Feuereifer an der Arbeit sei, „Bücher in die Heimat zu bringen, um den lutherischen Glauben auszubreiten. Auch der Schallermüller aus Schöndorf sei ein Bücherträger. Ein besonders eifriger Apostel sei der Tischler von Schöndorf, der mit Feuerzungen die gute Botschaft ausbreite. Er habe im Leben desgleichen nie gehört, wie der zu reden, zu lesen und das Wort Gottes vorzutragen, zu erklären und auszulegen verstehe.“ (Pfarrer Eichmeyer, S.82)

 

Katholische „Missionare“ für Vöcklabruck

Die Kaiserin Maria Theresia erlässt 1752 folgendes Regierungsdekret: „Die Kaiserin, vom Wunsche beseelt, die irregeleiteten Schäflein… so lange es möglich ist, durch gelindesten Wege wieder in den Schafstall einzuleiten…, hat sich mit dem Kardinal von Passau verabredet, eine genügende Anzahl Missionäre in die verdächtigen Gegenden zu senden. Die Beamten sind beauftragt, den Missionären jeden Beistand zu leisten, sei es bei der Hausdurchsuchung nach lutherischen Büchern, sei es zum Schutz gegen Angriffe, sei es zur Festnahme von Irrgläubigen.“

Als „besonders verdächtig“ scheinen die Gemeinden im Raum Vöcklabruck zu gelten: von den 33 Missionsstationen, die in dem Erlass aufgezählt werden, sind gut ein Drittel hier. Nach Vöcklabruck selbst kommen 4 Missionare, zwei Kapuziner und zwei Benediktiner.

Es wird von einer „Volksmission“ berichtet, die von 26.Juli bis 6.August 1752 durchgeführt wird: über 5.000 Menschen empfangen die heiligen Sakramente (Beichte und Kommunion), an einer Bußprozession nehmen mehr als 8.000 Personen teil, und bei der Schlusspredigt seien 25.000 Anwesende gezählt worden.

Kommentar von Pfarrer Eichmeyer (S.84):

„Kaiserin und Kardinal-Bischof scheinen durch die Vereinigung staatlicher und kirchlicher Macht den totalen Sieg davongetragen zu haben“.

Auch, weil die „Hartnäckigen“ vorher verbannt worden waren:

 

Siebenbürgen und die Evangelischen aus Oberösterreich

Von 1733 bis 1756 wurde unter Karl VI.und Maria Theresia Verbannung nach Siebenbürgen angeordnet:

„Da in den österreichischen Erblanden der evangelische Glaube verboten war, einzelne überzeugte Protestantengruppen (Kryptoprotestanten) aus dem landesfürstlichen Salzkammergut, dem Land ob der Enns (dem ‘Landl’), der Steiermark und Kärnten aber dennoch nicht davon lassen wollten, verbannte man sie in den östlichsten Winkel des Habsburgerreiches, nach Süd-Siebenbürgen. In einem Schreiben der Siebenbürgischen Hofkanzlei heißt es dazu: „Ihro Kayserliche Majestät [gemeint ist Maria Theresia] haben zu Absonderung dieser Leute das Fürstentum Siebenbürgen aus der Ursach bestimmt, weil selbiges zur Abschneidung der Korrespondenz am weitesten entlegen an der Population Mangel leidet…“ (Quelle: wikipedia 4/2014) Die Volksgruppe wurde Siebenbürger Landler genannt.

Vöcklabruck: 323 Personen sind bereit, lieber die Heimat zu verlassen, als wieder katholisch zu werden: sie geben vor der Regierungskommission an, dass sie „ihr Leben und Wandel einzig und allein nach dem geoffenbarten wahren Wort Gottes und der unveränderten Augsburgischen Konfession einzurichten und bei demselben bis ans Lebensende zu verbleiben gesonnen seien“.

„Verdächtige“ werden im Pfarrhof einem Religionsexamen unterzogen. Pfarrer Eichmeyer führt als Beispiel die Fragen an Sofia Leitnerin, 25 Jahre alt, vom Ortherhaus zu Schalchham, an. Die drei üblichen Fragen: wie sie über Maria denke, über die Heiligen und über das Fegefeuer. Antwort der jungen Frau: „Maria sei Jungfrau geblieben, könne aber nicht fürsprechen. Ebensowenig die Heiligen. Von einem Fegefeuer weiß die Bibel nichts, wir werden gereinigt durch das Blut Christi.“ Folge dieser Antworten war die Verbannung.

Die Verbannten müssen Haus und Hof verkaufen und bekommen ein paar Gulden auf die Hand. Nach Abzug des Verpflegungsgeldes für die Reise ist der Rest für die Erben bestimmt. Kinder unter 14 Jahren werden den Müttern weggenommen und zur katholischen Erziehung ins Kloster gebracht.

Erschreckend die hohe Sterberate in Siebenbürgen: Von 305 ausgewiesenen Familien waren nach 20 Jahren, im Jahr 1775, bereits 106 ganz ausgestorben, 29 völlig verarmt und 19 obdachlos. Lediglich 151 sind zu einer richtigen Ansiedlung gelangt.

Erst im Jahre 1778 kam es unter dem Einfluss Josephs II. als Mitregenten zu einem

Ende der Umsiedlungen nach Siebenbürgen. Er sagte: »Die Szenen der abscheulichen Intoleranz müssen ganz aus meinem Reiche verbannt werden, der Fanatismus soll künftig nur durch die Verachtung bekannt sein, den ich dafür habe.«

 

Die Rückkehr der Evangelischen

Mit dem Erlass des Toleranzpatents, gleich im ersten Jahr der Alleinregentschaft von Joseph II. (1781) wurde das Untergrunddasein des Protestantismus beendet: Wo hundert evangelische Familien (oder 500 Personen) lebten, konnte ein Bethaus errichtet werden; dieses durfte jedoch von außen nicht als Kirche erkennbar sein (keine Türme und Glocken) und über keinen öffentlichen Zugang von der Straße her verfügen.

Trotz dieser und weiterer Einschränkungen bekannten sich im Gebiet des heutigen Österreich auf Anhieb an die 80.000 Menschen zum evangelischen Glauben und gründeten die so genannten “Toleranzgemeinden”, die zum Fundament der neuen „Evangelischen Kirche in Österreich“ wurden. Von den 7.644 Personen, die sich in Oberösterreich als Evangelische outeten, stammten allein ca. 5000 aus dem Salzkammergut…

Im Jahr 1786 bildeten sich u.a. an folgenden Orten evangelische Gemeinden:

  • Inneres Salzkammergut: Evang. Gemeinden Goisern (ca. 3000 Pers.), Gosau (1071 Pers.), Hallstatt (ca. 930 Pers)
  • In Rutzenmoos (875 Personen)

In Attersee entstand die Evang. Gemeinde erst ab 1813 durch eine Teilung von Rutzenmoos: ca. 500 Personen.

Das Protestantenpatent von 1861 ermöglichte es auch Gemeinden mit weniger als 500 Personen, sich zu treffen.

Daher wurde am 15. November 1868 als Filialgemeinde von Rutzenmoos die Evangelische Gemeinde Vöcklabruck gegründet, die sich zunächst einmal pro Monat zum Gottesdienst traf.

Das Protestantengesetz von 1961 schließlich regelt das Verhältnis zwischen Staat und Evangelischer Kirche, wie es heute besteht.

Die Evangelische Kirche in Österreich macht mit etwas mehr als 300.000 Mitgliedern 3,7% der Bevölkerung aus (Zahlen vom Jahr 2013).

 

Zusammenfassung

Wir haben gesehen, dass die Evangelische Kirche in Österreich wie alle Ausprägungen der Reformation von Anfang an verboten wurde. Aber wegen der Unterstützung des Adels hat sich diese Konfession so stark ausgebreitet, dass das Land als „erzlutherisch“ galt. Erst nach ca. 100 Jahren wurde Druck ausgeübt, vom Verbot, Grundeigentum zu erwerben, über Geldstrafen, bis zur Wegnahme von Kindern und Verbannung.

Allerdings: mit Lebensgefahr war das Bekenntnis zum evangelischen Glauben in der Regel zu keiner Zeit verbunden.

Im Unterschiede zu der dritten Ausprägung der Reformation, den Freikirchen…

Bereits unter dem Thema Die Reformation erreicht Vöcklabruck haben wir davon gehört, wie schnell die Lehre der Täufer nach Oberösterreich kam und wie schnell viele Gemeinden in der ganzen Gegend entstanden sind.

Und wir haben dort auch von einem Vöcklabrucker gehört, der durch seine Predigten und Schriften Einfluss auf die Täuferbewegung in Österreich, Bayern und Süddeutschland hatte. Pfarrer Eichmayer schrieb über ihn folgendes (S.30):

„Die Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren mit einem Täufer­apostel befaßt, der aus Vöcklabruck stammt. Der XIII. Band der “Quellen zur Geschichte der Täufer” (1972, Carl Mohn-Verlag) befaßt sich zum großen Teil mit Lienhard Schiemer, dem Täuferapostel aus Vöcklabruck.“

Ich konnte bisher noch keine Quellen finden, die einen direkten Bezug von Leonhard Schiemer (Pfarrer Eichmeyer nennt ihn Lienhard, Dr. Satzinger Leopold…) zu der Gemeinde in Vöcklabruck hergestellt haben. Aber zwei Gründe scheinen dafür zu sprechen: erstens ist es naheliegend, dass ein Prediger, der von Steyr aus das ganze Land bereist, nicht ausgerechnet seine Heimatstadt ausspart. Und zum anderen weist die Beschreibung des Gemeindelebens der damaligen Gemeinde auf etwas hin, was Leonhard Schiemer stark vertreten hat: die Gütergemeinschaft:

 „Noch bevor es in Vöcklabruck zu einer refor­matorischen Gemeindebildung kommt, begegnen uns die Wiedertäufer. (…] Sie leben in christlicher Gütergemeinschaft, in sogenannten “Haushaben”, wo gemeinsam produziert und konsumiert wird.“Pfarrer Eichmeyer (S.30)

Aus diesem Grund möchte ich

  • das Leben und den Dienst von Leonhard Schiemer vorstellen,
  • auf den Alltag der damaligen Freikirchen eingehen
  • aber auch das blutige Kapitel Zeitgeschichte beleuchten, das Pfarrer Eichmeyer mit dem kurzen Satz dokumentiert:

„Zu Pfingsten 1528 werden vor der Dörflkirche acht Täufer hingerichtet.“

Leonhard Schiemer: 1) Auf der Suche nach einem authentischen Glauben

Hier die Stationen seines Lebens:

Vöcklabruck: Leonhard Schiemer wurde hier im Jahr 1500 (oder 1501?) als Sohn eines gottesfürchtigen Schneiderehepaares geboren, die wollten, dass er Priester wird. Wir haben schon gesehen, wie es um die Priester jener Zeit bestellt war. Daher verwundert es nicht, dass der junge Schiemer „im Leben und in der Lehre der Priester wenig Gottesfurcht gefunden“ hat. Weil im Gegensatz dazu die Franziskaner („Barfüßer“) für ihre Frömmigkeit bekannt waren, trat er diesem Orden bei.

Judenburg: Allerdings fand er dort im Kloster auch „nichts als Streit und Heuchelei“. Der Austritt aus einem Kloster war damals nicht so leicht, er musste regelrecht fliehen. Was er nach 6 Jahren auch tat:

Nürnberg war die nächste Station, wo er wie sein Vater das Schneiderhandwerk lernte. In Nürnberg konnte er sowohl die lutherische Lehre hören, als auch die Lehre der Täufer.

Wir haben es oben schon gelesen: Schiemer hat zuerst die Priester und dann die Mönche verlassen, weil er zu wenig Gottesfurcht, zu wenig ernsthafte Nachfolge gefunden hat.

Wie sah es damit bei den Lutheranern aus?

Die Reformatoren haben richtig gelehrt und richtig gelebt. Aber manche ihrer Anhänger haben die „Freiheit des Evangeliums“ falsch verstanden. Luther beklagt deshalb auch, dass manche jetzt mehr sündigen als vorher unter dem Papst. Über die Evangelischen wurde deshalb etwas ironisch gesagt, dass sie nach dem Grundsatz leben: „Glaube fest und sündige wacker.“ Hier zeigte sich wieder das Problem der „Landes-Kirche“: Sünde konnte zwar angesprochen werden. Aber weil alle zur Kirche gehörten, hatte Sünde keine Konsequenzen.

Dies war wohl der Grund, dass sich Schiemer mehr zur dritten Ausprägung der Reformation hingezogen fühlte, denen genau das wichtig war: authentisch leben. Nicht nur in der Theorie recht glauben, sondern der Glaube sollte in einem Leben der Nachfolge sichtbar werden.

Nikolsburg in Mähren: Ab 1526 hat Dr. Balthasar Hubmaier hier eine Zufluchtsstätte für Verfolgte geschaffen. Als ehemaliger Priester, später enger Freund Zwinglis, der sich aber in der Frage der Taufe mit ihm entzweite, hatte er u.a. durch Schriften großen Einfluss auf die Täuferbewegung, soll mehr als 2000 Personen getauft haben und war Leiter einer großen Gemeinde. Dahin reiste Schiemer. Und wurde im Mai 1527 Zeuge einer grundsätzlichen Diskussion über die Frage, ob Christen „das Schwert führen“ dürfen, das heißt auch Steuern für Kriegszwecke bezahlen und Wehrdienst leisten sollen. Die dagegen waren, wurden  Stäbler genannt (nach dem „Hirtenstab“), die anderen Schwertler. Während die Stäbler unter der Führung von Hans Hut (siehe „Ausbreitung der Täufer in Oberösterreich) sich zum völligen Gewaltverzicht bekannten, erklärten Hubmeier und die Schwertler, dass es einem Christen durchaus gestattet sei, sich und andere durch das Schwert zu verteidigen, insbesondere in Anbetracht der drohenden Türkengefahr. Die Diskussion hatte kein konkretes Ergebnis, aber ein Jahr später kam es über diese Frage zur Abspaltung der Stäbler, die Nikolsburg verließen.

Welche Position Schiemer hier einnahm, ist unbekannt. Einige Biographen vermuten, er habe wohl zunächst Hubmeiers Ansichten geteilt (Schwert in bestimmten Situationen erlaubt), da ihn Hans Hut später in Wien nur sehr misstrauisch aufnahm.

Wien: Schiemer reiste von Nikolsburg aus nach Wien, um von Hut mehr über das „wahre Christentum“ zu lernen. Nach nur zwei Tagen war der ehemalige Priesteranwärter und spätere Franziskaner völlig von der Lehre der Täufer überzeugt. Er erklärt seinem Lehrmeister, sein künftiges Leben solle dem Wort Gottes gehören. Er wolle es nicht nur unermüdlich hören, sondern auch ein solches Leben führen, wie es dem Wort entspricht. Daraufhin empfängt er die Taufe (Frühjahr 1527).

Steyr: Sein weiterer Weg führt ihn nach Steyr, der damaligen Hochburg der Täufer in Oberösterreich, wo er als Schneider arbeitet und die dortige Gemeinde im Wort Gottes unterweist. Er „tauft soviel Volks, daß er es nicht aufzählen kann“. Als “Lernmaister” oder Apostel wird er von Hans Hut zusammen mit drei anderen ausgewählt und auf Reisen geschickt:

Hut bekennt 26. November 1527 in Augsburg, er habe das Los dermaßen gemacht, wie Hieronymus Hermann (ein Mönch aus Mansee) angezeigt, d. h. er habe zu Steyr 4 Personen auslosen lassen, um sie auszusenden zur Verbreitung des Wiedertaufs. Der eine von ihnen sei Hieronymus Hermann selbst gewesen ; der zweite Leonhard von Pruckh (Lienhart Schiemer von Vöcklabruck) ; der dritte, ein deutscher Herr aus Nürnberg, soll ein deutscher Ordenspriester gewesen sein. Das vierte Los fiel auf Jakob Portner (Jäkel. S.29)

Reiseprediger: Der Erfolg ist unglaublich. Wohin er kommt, überall bringt seine Verkündigung Frucht. Mehrere Klöster versuchten, ihn wieder als Mönch zu gewinnen, aber er lehnte ab. In Wels schließen sich auch Priester und der Gelehrte Christoph Eleutherobius, der später Syndicus der Wiener Universitätsgemeinden ist, der “Gemain” an.

Vöcklabruck? Ob Schiemer auch in seine Heimatstadt ge­kommen ist und sich der Vöcklabrucker Täufergemeinde angenommen hat, wissen wir nicht genau. Aber: hören wir, wie beschrieben wird, was Leonhard Schiemer gelehrt hat:

„Schiemer war überzeugt davon, dass Gottes Wort zu Gottesliebe und zu Nachfolge von Christus treibe. Das Halten von äußeren Gesetzen und Verhaltensregeln mache Menschen lediglich zu guten Bürgern, aber nicht zu hingebungsvollen und opferbereiten Nachfolgern. Dazu gehört für Schiemer der Verzicht auf privates Eigentum. Die Zeit in Mähren hat ihn davon überzeugt, dass die Gütergemeinschaft ein Zeichen echten Christseins sei. Ebenso ist er davon überzeugt, dass ein Nachfolger von Christus mit Leiden zu rechnen habe wie Christus selbst.“ 

Und wenn wir uns erinnern, dass die Gemeinde in Vöcklabruck sowohl die Gütergemeinschaft praktiziert hat, als auch bereit war, für den Glauben den Tod auf sich zu nehmen, dann sind da deutliche Parallelen zu Schiemer zu sehen:

„Zu Pfingsten 1528 werden vor der Dörflkirche acht Täufer hingerichtet.“

Christliche Märtyrer in Oberösterreich

Warum mussten diese Leute sterben?

Wir erinnern uns wieder an das sog. „Ketzermandat von Ofen“ von 1527:

  • „Verächter der Heiligen, Läugner ihrer Fürbitten, Verdienste und Wunder, solle Gefängnißstrafe, oder Landesverweisung treffen.“
  •  „Wer aber das heil. Abendmahl mit Brod und Wein feiere, den solle man an Leib und Leben strafen, die Häuser, in welchen eine solche Feier Statt gefunden habe, confisciren oder auch niederreißen.“
  • »die ergerliche, abscheuliche, und gotteslästerliche sect der widertauffer mit feur und schwerdt verfolgt und nach müglichkeit ausgerottet werden solle«.

Zumindest von den ersten beiden Punkten waren Lutheraner, Reformierte und die Täufer gleichermaßen betroffen. Da es aber in jener Zeit wegen dem Adel nicht auf Lutheraner angewandt wurde, traf es die Täufer umso härter. Hier Berichte der Auswirkungen:

Dr. Satzinger schreibt:

„Eine regelrechte Exekutionstruppe unter Führung des Hauptmanns Dietrich von Hartitsch zog zur Ausrottung der Ketzerei durchs Land. In den meisten Städten des Landes kam es zu Täuferprozessen mit Hinrichtungen.“

Der Bericht in der Täuferliteratur darüber:

„In der ersten Fastenwoche 1528 schickte König Ferdinand den Profosen (Dietrich von Hartitsch) in Oesterreich, der hat große Empörung, Trüebsal und Verfolgung angerichtet.” Wo jemand im Feld oder auf der Straße ergriffen wurde, ließ er ihn enthaupten, welche aber in den Dörfern vom Glauben nicht abstehen wollten, an die Thorsäulen hängen. Da zog viel Volk aus Oesterreich gen Nikolsburg, andere verließen mit Weib und Kind ihre Häuser und flohen in die Berge. Der Profos kam auch in die Nähe der mährischen Grenze. Da ließ ihm der Lichtensteiner (Erkl.: Adelsgeschlecht in Mähren) sagen: „das er über die gränitz (Übersetzung: Grenze) ja nit greife, oder sie wollten ihm etliche Kugeln schenkhen”. Da ist der Profos abgezogen. (Beck. 1. C, S. 57.)

Vermutlich in Zusammenhang mit der genannten Exekutionstruppe kam es zur Hinrichtung von 8 Personen bei der Dörflbrücke in Vöcklabruck.

Joseph Jäkel nennt in seinem 1889 erschienen Buch „Zur Geschichte der Wiedertäufer in Oberösterreich“ zwei Namen der Exekutierten: „Hans Tischler, ein Diener des Wortes Gottes, und Lienhart Laistschneider von Salzburg.“

Obwohl der Adel die Täufer nicht schützte, scheint der Freiherr von Pohlheim nicht glücklich darüber gewesen zu sein: er empfindet das als Eingriff in seine Gerichtsbarkeit und verlangt dafür eine „Vergütung“ i.H.v. 1000 Rheinischen Gulden (der heutige Geldwert ist schwer zu ermitteln. Um 1700 soll 1 Gulden ca. 40 Euro entsprochen haben. Der Freiherr hat die Stadt also auf 40.000,- Euro verklagt). Die Landeshauptmannschaft forderte die Stadt zur Stellungnahme auf. Das Ergebnis wird nicht überliefert….

Dörflbrücke in Vöcklabruck

Manche haben widerrufen. Obwohl das manchmal nur Auswirkungen auf die Art des Todes hatte: Ein Generalmandat aus dem Jahre 1528 bestimmte:

“Wiedergetaufte Personen, die ihren Irrtum widerrufen und das hochwürdige Sakrament empfangen, werden aus Gnade mit dem Schwert hingerichtet; die aber auf ihrem Vornehmen be­harren, müssen mit dem Brand vom Leben zum Tode gebracht werden.” (Pfarrer Eichmeyer, S.31)

Üblicherweise wurden Männer verbrannt und Frauen ertränkt. Meist, nachdem sie vorher gefoltert wurden, um die Namen von anderen Täufern zu erfahren.

Aber manche wollten nicht nur nicht widerrufen, sondern haben sich sogar gefreut, Bekenner sein zu können. Diese Quelle berichtet davon, dass dies sogar bei jungen Mädchen so gewesen sei:

„Es erinnert diese Freudigkeit bis in den Tod bei Ambros Spitelmair an die viel zarteren Bekenner, die sich damals (anno 1528 und 1529) in Österreich zum Tode herandrängten und die kalten Männer der Justiz geradezu verblüfften, nämlich „an die jungen Maidlein in Österreich, die herzulaufen und des Todes begehren”, wie uns der protestantische Rechtsgelehrte, Dr. Hepstein, der zu jener Zeit in Nürnberg lebte, erzählt.“ (Jörg, 1. c, S. 710.; Zitiert in Jäkel, S.58)

Link: de.wikipedia.org/

Mir liegt eine Auflistung vor, in welcher Stadt und Marktgemeinde in Oberösterreich wie viele Personen um ihres Glaubens willen hingerichtet wurden: neben Vöcklabruck (8 Personen) zum Beispiel in Steyr (30) Linz (72), Wels (10), Lambach (22), Gmunden (2) usw.  (Beck, S. 279 f, zitiert nach Jäkel)

Leonhard Schiemer: 2) Sein Einfluss auf die Täuferbewegung

Wieder zurück zu Leonhard Schiemer: wir hatten gesehen, dass er im Frühjahr 1527 getauft wurde und danach zuerst in Steyr tätig war, dann als Missionar ausgesandt wurde in die Umgebung.

Hier die wenigen weiteren Stationen seines Lebens:

Augsburg: Im August 1527 rief Hans Hut ca. 60 Abgeordnete verschiedener Täufergruppen zu einer Synode nach Augsburg, um sich in Lehrfragen zu einigen. Auch Leonhard Schiemer gehörte zu den Abgesandten (32 weitere sind namentlich bekannt). Allein auf dieser Reise nach Augsburg tauft der junge Vöcklabrucker über 120 Personen (Pfarrer Eichmayer, S.31).

Am Ende der Synode stand die Übereinkunft, von Augsburg aus Missionare auszusenden, um in der Erwartung der nahen Wiederkunft Jesu „möglichst viele der Auserwählten“ zu sammeln. Die täuferischen Sendboten wurden einzeln und zu zweit in 8 genau umrissene Gebiete gesandt. Und wieder ist Leonhard Schiemer dabei, allerdings als Missionar für Bayern. Hier auch noch die Namen der Missionare, die nach Österreich geschickt wurden. Vier der 8 Gebiete sind für uns interessant:

  • Leonhard Spörler und Leonhard Schiemer nach Bayern
  • Leonhard Dorfbrunner nach Linz
  • Hans Mittermaier nach Österreich und
  • Eukarius Binder und Joachim Mertz ins Salzburger Land

Diesem Missionsplan blieb der „Erfolg“ versagt, weil die allermeisten Sendboten innerhalb weniger Monate den Märtyrertod starben. Deshalb ist diese Zusammenkunft unter dem Namen Augsburger Märtyrersynode in die Geschichte eingegangen.

München, Hall, Schwaz: Das Einsatzgebiet von Schiemer war also zunächst München. Pfarrer Eichmayer berichtet:

„Leute aus München suchen ihn auf und begehren die Taufe. Sie berichten ihm, daß in Tirol das Feld weiß zur Ernte sei. Er zieht nach Hall, dann nach Schwaz, wo schon viele auf ihn warten. Er wird aber von einem Prediger angezeigt und schon in der ersten Nacht gefangen genommen.“

Das war am 25. November 1527.

Rattenburg: Ziel war offenbar die Gemeinde in Rattenburg. Er schreibt, dass er dort nur einen Tag war, dennoch hat er auf die Gemeinde einen enormen Einfluss und nennt sich „ihr unwürdiger Bischof“. Seine Haftzeit verbrachte er dort.

Wieder Eichmayer: „Im Verhör wird ihm vorgeworfen, er habe im Geiste Thomas Müntzers den Aufruhr ins Land tragen wollen, die Leute angehalten, alle Dinge gemeinsam zu haben und die bestehende Ordnung zu stürzen versucht. Seine Antwort: “Ich habe den Menschen den Glauben gepredigt, sie angehalten zu einem Leben nach dem Wort Gottes, zur Leidensbereitschaft, zur Liebe und Treue zu den Brüdern. Gottes Wort weiß nichts von Aufruhr und Empörung. Davon wollen auch wir nichts wissen.”

Der Bezirksrichter Bartholomeus Angst war sehr nachsichtig mit seinem Gefangenen, so dass Brüder aus- und eingehen konnten und ihn mit Tinte und Papier versorgten. 

Den kurzen Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis (7 Wochen, bis Januar 1528) nutzte Schiemer für die Abfassung und Herausgabe sogenannter Sendschreiben. Namentlich bekannt sind folgende Schriften (s. wikipedia Schiemer):

  • Eine hübsche Erklärung der 12 Artikel des christlichen Glaubens
  • Was die Gnad sey. Eine Vorred (von der dreyerlei Gnad)
  • Vom Fläschl (“Denn gleichwie eine Flasche oben eng ist und unten weit, also ist auch der Weg zur Seligkeit eng und schmal … Aber der Herr tröstet im höchsten Elend. Dieser Trost ist nichts anderes, als eine Vorkost des ewigen Lebens.”)
  • Von der Tauff im Neuen Testament, anderer Titel: Von dreyerlei Tauff
  • Trostbrief an einen schwachen Bruder
  • Ein wahrhaft kurz Evangelium, heut der Welt zu predigen
  • Ein Bekanntnus vor dem Rickter zu Rotenburg  (= Rattenburg; Januar 1528).
  • Ordnung der Gemein, wie ein Christ leben soll

Außerdem sind fünf anonyme Traktate vorhanden, bei der die Autorenschaft Schiemers wahrscheinlich ist. Unter den Traktaten findet sich auch ein kurzer Katechismus.

Von Schiemer gedichtete Lieder

  • Dein heilig statt hond sie zerstört (ist eigentlich eine Strophe von „Wir bitten dich“)
  • Sollstu bei Gott dein wohnung han
  • Wie köstlich ist der Heil’gen Tod

Und folgendes Lied, von dem weiter hinten 4 Strophen abgedruckt sind:

  • Wir bitten dich, ewiger Gott, neig zu uns deine Ohren

Diese 7 Wochen gehören zu den fruchtbarsten in der langen und bitteren Geschichte des süddeutschen und österreichischen Täufertums. Seine Schriften wurden bald in einer Broschüre oder einem Heft vermutlich für die örtliche Gemeinde gesammelt, aber sie fanden weite Verbreitung in Mähren, Deutschland und der Schweiz.

Schiemer hat sich auf das „sola sciptura“, allein die Schrift, berufen und verlangt:

„dass, wenn man seine Lehre und seinen Glauben für falsch und für Ketzerei halten wollte, so sollte man gelehrte Leute, Doctores, Mönche und Pfaffen vor ihn kommen lassen, um mit ihm zu disputieren. Wenn nun in dem Wortstreite mit wahrem Grunde aus Heiliger Schrift befunden würde, dass er unrecht hätte, so möchte man ihn deshalb als einen Ungerechten strafen.“

Er war sich seiner Sache so sicher, dass er noch weiterging:

Eichmeyer: „Jedesmal wenn ihn ein Gelehrter mit der Wahrheit der Schrift überwindet, so soll man ihm durch den Henker ein Glied seines Leibes abreißen lassen und wenn er kein Glied mehr habe, eine Rippe nach der anderen aus dem Leibe ziehen, bis er gar sterbe. Wo man ihn aber ungehört töten oder richten lasse, so bitte er alle Umstehenden, daß sie das am Jüngsten Gericht vor Gott bezeugen wollen.“

Nach einem gescheiterten Fluchtversuch wurde die Haft verschärft, und die Regierung in Innsbruck forderte dazu auf, den Fall abzuschließen.

So wurde er gemäß dem Mandat von König Ferdinand zum Tod durch Verbrennen verurteilt. Das Urteil wurde aber insofern gemildert, dass er am 14. Januar 1528 zuerst enthauptet und danach erst verbrannt wurde. Außer ihm fanden übrigens in Rattenburg weitere 70 Personen den Tod…

Also: Im Mai 1527 bei der Diskussion in Mähren noch nicht vom Evangelium überzeugt, kurze Zeit danach dann seine Taufe, 6 Monate später, im November, Verhaftung, sieben Wochen danach im Jänner dann Hinrichtung.

Die Hinrichtung von Leonhard Schiemer kommentiert Pfarrer Eichmeyer wie folgt (S.32):

„Sein schwerstes und todeswürdiges Verbrechen also: Daß er mit zwei ange­feuchteten Fingern die Segnung der Bekehrten vorgenommen hat.

Lienhard Schiemer ist meines Wissens der einzige Märtyrer, den Vöcklabruck hervorgebracht hat. Sein kurzes Leben — er starb im 27. Lebensjahr — war eine einzige Flamme, die sich zur Ehre Gottes, in der Sehnsucht nach der wahren Kirche und nach dem kommenden Gottesreich verzehrte. Wir neigen uns in Ehrfurcht vor diesem jungen Märtyrer. Sein Name soll in unserer Stadt und unserer Gemeinde unvergessen bleiben.“

Leonhard Schiemer: 3) ein Liedtext

Die kurze Biographie über Leonhard Schiemer möchte ich mit einem seiner Lieder abschließen.

Im 13-bändigen Martyrerspiegel aus dem Jahr 1660 steht dazu:

„Dieser Leonhard Schiemer hat unter andern die nachfolgende Ermahnung an alle diejenigen, welche um des Namens Christi willen im Leiden sind, zum Troste hinterlassen.“

Und dann kommt in Prosa ein Text, der als Lied unter dem Titel „Wir bitten dich, o ewiger Gott“ in Reimform veröffentlicht ist.

Von den insgesamt 11 Strophen dieses Liedes möchte ich 4 wiedergeben.Der Liedtext der Strophen zwei und drei (in schwarz) ist Original, der braune Text (Strophen eins und vier) stammt aus einer späteren Überarbeitung unbekannter Herkunft. In Klammern darunter der Prosatext aus dem „Märtyrerspiegel.

Wir bitten dich, o ewiger Gott

Wir bitten dich, ewiger Gott,
neig zu uns deine Ohren,
heiliger Herr Zebaoth,
du Vierfürst der Heerscharen,
vernimm die Klag:
Ungemach und Plag
hat überhand genommen.
Der Behemoth
mit seiner Rott
ist in dein Erbteil kommen.

(Wir bitten dich, o ewiger Gott, neige deine gnädigen Ohren zu uns, Herr Zebaoth. Du Herr der Heerscharen, höre doch unsere Klagen, denn großes Ungemach und Plage hat die Oberhand genommen und der Hochmut ist in dein Erbe gekommen;)

Wir sind zerstewt gleich wie die schaf,
die keinen Hirten haben,
verlassen unser hauß und hooff
und sind gleich dem Nachtraben,
der sich auch offt
hewlt in steinklufft.
In Felsen und in klufften
ist unser gmach,
man stellt uns nach,
wie Vöglein in der lufften.

(Wir sind zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben; wir müssen Haus und Hof verlassen und gleichen den Nachtvögeln die sich in den Steinfelsen aufhalten. In Höhlen und Steinklippen sind unsere Kammern. Man stellt uns nach, gleich den Vögeln, die in der Luft fliegen.)

Man hat sie an die bäum gehenkt,
erwürget und zzerhawen,
heimlich und öffentlich ertrenckt
vil Weiber und jungfrawen.
Die haben frey
ohn alle schew
der warheit zeugnuß geben,
daß Jesus Christ
die wahrheit ist,
der weg und auch das leben.

(Man hat die Gläubigen hier an die Bäume aufgehängt, erwürget, in Stücke zerhauen, heimlich und öffentlich ertränkt; nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen und Jungfrauen haben hier gleichfalls die Wahrheit bezeugt, dass Jesus Christus die Wahrheit und der einzige Weg zum ewigen Leben sei.)

Wie köstlich ist der Heilgen Tod
vor deinem Angesichte!
Drum haben wir in aller Not
ein tröstlich Zuversichte
zu dir allein;
sonst nirgend kein
Trost, Fried noch Ruh auf Erden.
Wer hofft auf dich,
wird ewiglich
nimmer zu Schanden werden.

(Wie köstlich ist das Blut deiner Heiligen vor deinen Augen. Darum haben wir zu dir allein in allen unsern Nöten eine tröstliche Zuversicht und keinen Trost, keine Ruhe, oder keinen Frieden bei sonst jemanden auf dieser Erde. Wer aber auf dich hofft, der wird in Ewigkeit nicht zu Schanden werden.)

Alltag der Freikirchler: das Gemeindeleben damals

Wie muss man sich das Gemeindeleben der ersten Vöcklabrucker Freikirche vorstellen? Jäkel (S.10ff) zählt folgendes auf, was natürlich nicht speziell auf Vöcklabruck bezogen ist, aber wohl so ähnlich in allen österreichischen Täufergemeinden jener Zeit ähnlich praktiziert und gesehen wurde:

Erkennungszeichen der Freikirchler: der spezielle Gruß

  • An dem Gruß: „Der Friede sei mit Dir,” erkannte man sich.
  • Zusätzliches Geheimzeichen, das bei einem Verhör verraten wurde (Jäkel, S.14):

„Wenn nämlich ein fremder Bruder kam, so grüßte er „im Herrn”; und man dankte ihm „im Herrn”, und fragte weiter: Kommst Du vor oder nach dem Herrn? War er nun ein echter Bruder, so antwortete er weder, dass er vor, noch, dass er nach, sondern dass er „mit dem Herrn” oder „in Christo” komme.

Ämter bzw. Dienste in der Gemeinde

  • An der Spitze stand ein Hirt, Vorsteher oder Bischof.
  • Von ihm wurden, wie einst von Christo die Apostel, Missionäre zur Verbreitung ihres Glaubens ausgesendet, welche Propheten genannt wurden.
  • Andere besorgten daheim die Seelsorge und den Predigtdienst (Diener des “Wortes oder evangelische Diener“), andere das Weltliche (Diener der Nothdurft).
  • Das Gemeindevermögen verwaltet der Vorsteher oder Bischof mit 12 Beigeordneten oder Ältesten,
  • Alle Beamten wurden von der Gemeinde gewählt, und jede Wahl war widerrufbar.
  • Vor allem wurde das Handwerk hochgehalten, und die meisten Diener des Wortes waren, wenigstens in der späteren Zeit, einfache Handwerker, die sich nur durch fleißiges Lesen eine gewisse Kenntnis der Bibel erworben hatten.

Kirchenzucht

  • „Streng wurde die Kirchenzucht von der Ermahnung bis zum Banne geübt. Die weltliche Obrigkeit ist ihnen wohl eine Ordnung Gottes, deren Geboten zu gehorchen ist, aber nur soweit sie nicht wider Gott sind. Denn in diesem Falle muss man Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

Gütergemeinschaft

Wie schon gesagt: Dieser Gedanke der Gütergemeinschaft wurde in der Zeit in Mähren stark betont. Die Hutterischen Gemeinden praktizieren das bis heute. Und die österreichischen Gemeinden waren sehr stark geprägt von den Hutterern: Jäkel S.56

„Die andern (…) unierten (vereinigten) sich mit den Huterischen, so dass es in Oesterreich bald keine anderen Taufgesinnten mehr gab als Huterische und einige unbedeutende Reste von Schweizer Brüdern.“

Und so sah das dann aus: (Jäkel, S.10ff)

  • Die Idee der Gütergemeinschaft tauchte ziemlich früh auf, anfangs mehr im altchristlichen Sinne als Aufforderung zu Almosen. Später wurde sie in den mährischen Gemeinden absolutes Gebot. Diese Gemeinden besaßen Maierhöfe, Mühlen, Gärten, Brauereien, Ziegeleien, mit einem Worte: alles, was überhaupt Eigenthum der Wiedertäufer war, das Individuum nichts. Verwaltet wurden die Höfe von den Dienern der Nothdurft, und zwar so, dass einer über alle Maierhöfe, ein anderer über alle Mühlen usw. gesetzt war.
  • Die Genossen eines Gewerbes wohnten in einer „Haushabe“zusammen, die oft so groß war, dass 300, 400 bis 500 Köpfe eine Wirtschaft ausmachten. Zuweilen wohnten aber zwei oder mehrere Gewerbe in einer Haushabe zusammen. Neben solchen Wohnräumen gab es gemeinschaftliche Wirtshäuser, Gewerbehäuser und derartiges.
  • Kinder kamen in gemeinsame Erziehungshäuser und Schulen.

Gottesdienst und Sakrament

·         Ihre Versammlungen hielten sie entweder in Gebetstuben oder unter freiem Himmel. Kunstvolle Tempel, äußere Pracht, Musik, Bilder, Glocken und Thürme waren ihnen ein Greul; (Beck, XIV., Zitiert nach Jäkel)

·         „Sakramente“ in der alten Definition gab es nicht mehr. Sie werden als Zeichen definiert, die in der Bibel angeordnet sind. Nämlich folgende zwei: die Taufe, in der Tod und Auferstehung Christi und des Gläubigen versinnbildlicht wird. Und die Mahlfeier, die an Leib und Blut von Christus erinnert.

Taufe

Die Taufe wird an drei Voraussetzungen geknüpft (Schleitheimer Artikel):

  • Erstens sollen die Täuflinge über Buße und Änderung des Lebens belehrt worden sein und in Wahrheit glauben, dass ihre Sünden durch Christus weggenommen sind.
  • Zweitens müssen sie wollen, dass sie in der aufferstehung Jesu Christi wandeln und in der Taufe mit Jesus Christus begraben werden, um mit ihm aufzuerstehen.
  • Drittens sollen sie in solcher meynung die Taufe durch sich selps begehren und vom Täufer fordern. Die Säuglingstaufe als des Bapsts höchste und erste grewel wird verworfen.

Pfarrer Eichmeyer schrieb über die Vöcklabrucker Freikirche im 16. Jahrhundert (S.30):

Nur wer durch Christus überwunden und zu einer totalen Lebenshingabe, ja zum Märtyrertod bereit ist, darf die Taufe empfangen und der “Gemain” eingegliedert werden.

Form der Taufe: nicht wie heute in den Freikirchen üblich durch Untertauchen. Sondern zumindest von Leonhard Schiemer wird berichtet:

Pfarrer EichmeyerS.31: „Die Taufe sei so vor sich gegangen: Wenn einer die Unterweisung im Glauben empfangen habe und gelobt habe, nach den Geboten Gottes zu leben, so habe er zwei Finger in ein Wasser getaucht, sie den Leuten aufs Haupt gelegt und sie getauft im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Abendmahl/Mahlfeier

Voraussetzung dafür war

  • die Bekenntnistaufe und
  • ein tadelloser Lebenswandel

Form: wie im Neuen Testament beschrieben „in beiderlei Gestalt“: Brot und Wein

Evangelistisches Wirken: Missionare

Aussendung: Vom Hirten/Gemeindeleiter wurden, wie einst von Christo die Apostel, Missionäre zur Verbreitung ihres Glaubens ausgesendet, welche Propheten genannt wurden.

Über ihr Auftreten: „In demüthiger Haltung, mit niedergeschlagenen Augen, in grober Kleidung, den Wanderstab in der Hand, traten sie ein, den Aposteln nicht unähnlich, am liebsten bei den Handwerkern und Bauern, und baten um ein Nachtlager im Stalle oder in der Scheune. Bald aber fingen sie auf ihre Weise zu beten an, lasen für den Augenblick passende Stellen aus der Bibel vor, wie etwa über die Liebe zum Nächsten, man solle niemandem schaden und sich mit jedermann vertragen. Alle sollten Brüder und Schwestern unter einander sein und die Güter der Erde in Gemeinschaft genießen. Es gebüre sich darum nicht, dass einer über dem anderen stehe und derartiges.“ Weiters: „Die Predigt der Missionäre handelte zuerst meist vom Verderben der Welt und ihrem Untergange. Der Tag des Herrn stehe bevor, alle Gottlosen sollen vertilgt werden, und das neue Reich werde seinen Anfang nehmen.“

Über ihre Wirkung: „Kein Wunder, dass sie Eindruck machten und bei dem gemeinen Manne bald mehr galten als die ständigen Pfarrer. Denn sie waren nicht bloß Redner, sondern auch Bekenner. Oft genug verfolgt und flüchtig, ihrer Nahrung, ja ihres Lebens nicht sicher, legten sie durch die That ein Zeugnis für ihre Worte ab und wirkten so nicht bloß erbaulich und herzgewinnend, sondern auch erschütternd und niederwerfend.“

Man darf nicht denken, dass es unter den protestantischen Gemeinden sofort eine einheitliche Lehre gab.

Die Irrwege der ersten Zeit

Und: es gab bei allen drei Ausprägungen der Reformation Lehren und Meinungen, die aus heutiger Sicht in eine falsche Richtung gegangen sind:

  • Beispiel Zwickauer Propheten: das war eine Gruppe, die von sich behauptete, spezielle Offenbarungen Gottes durch den Heiligen Geist bekommen zu haben. Diese Offenbarungen stellten sie über die Bibel. U.a. sagten sie folgendes: das bevorstehende Endgericht Gottes würde durch die Türken kommen, die katholischen Pfarrer sollten im Geiste des Elia getötet werden, und danach, nach dem Tod der Sünder, würde es eine Weltveränderung und einen einheitlichen Glauben geben.Luther bezweifelte ihre göttliche Legitimation und predigte gegen ihre Überzeugungen.
  • Beispiel Thomas Müntzer: Er war einer dieser Zwickauer Propheten: ein ehemaliger Priester, zunächst Anhänger Luthers. Sah die Bibel aber nicht als so notwendig an und trennte sich von Luther. Er wollte das Reich Gottes mit Gewalt aufrichten und führte die Bauern im Bauernkrieg an. Die entstehende Täuferbewegung in Zürich wollte ihn von Gewaltlosigkeit überzeugen, was aber nicht gelang. Er wurde 1525 hingerichtet.
  • Beispiel Hans Hut, der ja in Oberösterreich und auf Leonhard Schiemer großen Einfluss hatte:  bei ihm wird deutlich, dass die Meinungen sich erst langsam herausgebildet haben, und sich die Führer sehr wohl korrigieren ließen: zuerst von Müntzer und dessen Gewaltbereitschaft beeinflusst, hat er das später als falsch erkannt:

Er erzählt in einem Verhör (Jörges, S.41):

„Auf Einladung des Predigers Jörg Haug, den die Bauern daselbst erwählt, habe er zu Bibra über die Taufe gepredigt und auf offener Kanzel gesagt: „Gott werde sie (die Messpfaffen) und alle die, so der Wahrheit wider wären (die Obrigkeiten sind gemeint) strafen ; und (diese) würden alle schändlich umkommen; und es wäre jetzo die rechte Zeit, dass sie alle sollten erschlagen werden. Denn die Bauern hätten den Gewalt und das Schwert in der Hand.” So hätte er nämlich den Münzer predigen gehört. Er hätte es damals auch selbst geglaubt, sei aber jetzt anderer Meinung. Den Brüdern zu Königsberg (in Sachsen) habe er z.B. gepredigt: sie sähen, da die Bauern auf gewesen wären, dass sie nicht recht gehabt. Denn sie hätten das Ihrige gesucht und nicht Gottes Ehr.“

Während Hut diesen Irrtum erkannt hat, blieb er bei anderen. Z.B. war Hut überzeugt, dass nach seiner Berechnung der „Tag des Herrn“ zum Gericht über die Welt dreieinhalb Jahre nach Ende des Bauernkrieges stattfinden werde. (Ende Bauernkrieg: 1526, Tag des Herrn also 1529). Er hat dieses Jahr allerdings nicht mehr erlebt, weil er 1527 in Haft verstorben ist.

Das scheint eine große Thematik der ersten Zeit gewesen zu sein: eine starke Erwartung, dass Jesus Christus bald wiederkommt und die Herrschaft übernimmt. Und damit zusammenhängend die Frage, ob die Gläubigen das selbst in die Hand nehmen sollten.

Das bekannteste und abschreckendste Beispiel:

Beispiel „Täuferreich in Münster“: der ganze Stadtrat bestand 1534 nur aus Täufern: sie vertrieben alle Nicht-Täufer, sagten die Wiederkunft Christi für Ostern dieses Jahres voraus, führten Gütergemeinschaft und wegen des Frauenüberschusses die Polygamie ein. Bei der Belagerung der Stadt durch die katholische Armee hatte ihr Führer, Jan van Leiden, die Vision, dass sie unverletzlich seien, und dass kein Hunger zu fürchten sei, weil die Pflastersteine auf dem Marktplatz zu Broten würden. Beides hat sich als falsch herausgestellt…

Nach eineinhalb Jahren wurde Münster am 24. Juni 1535 vom Fürstbischof eingenommen. Ein Blutbad beendete das Täuferreich. Rund 650 Verteidiger wurden getötet, die Frauen aus der Stadt vertrieben. In den folgenden Wochen wurden die noch lebenden Täufer beiderlei Geschlechts, mit Ausnahme von Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling, hingerichtet. Diese drei verbliebenen Oberhäupter der Täufer werden zunächst ein halbes Jahr lang im Stift herumgezeigt, und mit und ohne Folter zu ihren Vergehen befragt. Am 6. Januar 1536 wurden sie in Wolbeck zum Tode verurteilt und am 22. Januar zu Füßen der Lambertikirche, auf dem Prinzipalmarkt, zu Tode gefoltert: ihnen wurden mit glühenden Zangen die Zungen ausgerissen, ihre Körper zerfetzt, und nach vier Stunden erdolcht. Ihre Leichen wurden in eigentlich für den Gefangenentransport bestimmten eisernen Körben am Turm der Lambertikirche aufgehängt zur Schau gestellt, „daß sie allen unruhigen Geistern zur Warnung und zum Schrecken dienten, dass sie nicht etwas Ähnliches in Zukunft versuchten oder wagten“. Die Täuferkörbe hängen noch heute an der Kirche.

Wir sehen: sowohl unter den Nicht-Täufern (Zwickauer Propheten, Thomas Müntzer) als auch unter den Täufern (Münster) gab es zunächst Fehlentwicklungen.

Gemeinsame Positionen der Protestanten

Ausgangspunkt aller drei Ausprägungen der Reformation war dieser zentrale Grundsatz

Sola Scriptura. Allein die Schrift.

Deshalb haben sowohl Luther in Worms als auch die Täuferführer wie z.B. Leonhard Schiemer immer wieder betont:

Wenn wir mit der Schrift wiederlegt werden können, sind wir bereit zu widerrufen. Wenn nicht, sehen wir uns an die Schrift gebunden.

Aus dem zentralen Grundsatz folgen diese Wahrheiten:

  • Jeder Mensch ist Sünder (Römerbrief, Kap.3, Vers 23)
  • Erlösung nicht selbst machbar, sondern aus Gottes Gnade möglich durch Jesus Christus (Römerbrief, Kap.3, Vers 24)
  • Haupt der Kirche nicht der Papst, sondern Christus (Epheserbrief, Kap.5, Vers 23)
  • Aus diesen Gründen wurden alle aus der Tradition entstandenen Punkte wie Messe, Firmung, letzte Ölung, Beichte, Ablass, Fasten, Fürbitte der Heiligen, Marienverehrung, Fegefeuer, Zölibat, Mönchstum u. ä. verworfen.

Die weitergehenden Positionen der Freikirchen

Während es in diesen Punkten Übereinstimmung unter den Protestanten gab, war es nicht so leicht, die Positionen der Täufer zu definieren: es handelte sich um viele unabhängige Gemeinden, deren Leiter unterschiedlich gut mit dem Wort Gottes vertraut waren und unterschiedliche Sichtweisen hatten.

Ein Führer der Bewegung, Michael Sattler, ergriff deshalb die Initiative.

Wikipedia schreibt (April 2014):

Um der jungen Täuferbewegung, die innerhalb kürzester Zeit an vielen Orten Süddeutschlands und in der Schweiz unabhängige Gemeinden gebildet hatte, eine theologische Richtung zu geben, lud Sattler zu einer Täuferkonferenz ein. Diese kam am 24. Februar 1527 in Schleitheim zusammen. Die anwesenden Abgesandten der Täufergemeinden beschlossen während dieses Treffens ein Glaubensbekenntnis, das erste in der Geschichte der Täuferbewegung. Es trug den Titel „Brüderliche vereynigung etzlicher Kinder Gottes siben Artickel betreffend.“

Ergebnis war also eine als „Schleitheimer Artikel“ bekannt gewordene Vereinbarung, die in 7 Artikeln den gemeinsamen Glauben der Täufer zusammenfasst.

Die Nachrede zeigt die theologische Verwirrung, die vorher geherrscht hat und die durch dieses Bekenntnis ausgeräumt werden sollte:

„Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Das sind die Artikel, die einige Brüder bisher falsch und dem wahren Sinn zuwider verstanden haben. Sie haben damit viele schwache Gewissen verwirrt, wodurch der Name Gottes sehr schwer gelästert worden ist. Darum ist es notwendig gewesen, dass wir im Herrn übereingekommen sind, wie es auch geschehen ist. Gott sei Lob und Preis. Weil Ihr nun den Willen Gottes reichlich verstanden habt, wie er jetzt durch uns offenbart ist, wird es notwendig sein, dass Ihr den erkannten Willen Gottes beharrlich und ohne Aufschub vollbringt.“

Lehren, die in diesen Artikeln geregelt wurden (Kurzfassung):

  1. Artikel über Taufe: nur an Menschen, die bekennen, dass Jesus ihre Sünden weggenommen hat
  2. Artikel über Umgang mit Sünde (Kirchenzucht): Ermahnung. Wenn keine Umkehr erfolgt: Ausschluss
  3. Artikel über Brotbrechen: Voraussetzung dafür war die Bekenntnistaufe und ein tadelloser Lebenswandel (Mahlfeier wurde übrigens „in beiderlei Gestalt“ gereicht: Brot und Wein)
  4. Artikel über Absonderung: gegenüber dem Papsttum, gegenüber weltlichen Belangen und Vergnügungen, u.a. auch Gewaltlosigkeit

Wörtlich ist hier aufgezählt:

„Aus dem allen sollen wir lernen, dass alles, was nicht mit unserem Gott und mit Christus vereinigt ist, nichts anderes ist als die Greuel, die wir meiden und fliehen sollen. Damit sind gemeint alle päpstlichen und widerpäpstlichen Werke und Gottesdienste, Versammlungen, Kirchenbesuche, Weinhäuser, Bündnisse und Verträge des Unglaubens und anderes dergleichen mehr, was die Welt für hoch hält und was doch stracks wider den Befehl Gottes durchgeführt wird, gemäss all der Ungerechtigkeit, die in der Welt ist. (…)  So werden dann auch zweifellos die unchristlichen, ja teuflischen Waffen der Gewalt von uns fallen, als da sind Schwert, Harnisch und dergleichen und jede Anwendung davon, sei es für Freunde oder gegen die Feinde – kraft des Wortes Christi: Ihr sollt dem Übel nicht widerstehen.“

5. Artikel über Leitung einer Gemeinde: durch Pastor oder Hirte (Pfarrerbild noch nicht völlig abgelegt)

6. Artikel über das Schwert:

    a) innerhalb der Gemeinde soll Kirchenzucht (s. Artikel 2, Ermahnen oder Ausschluss) praktiziert werden, aber keine              physische Gewalt.

    b) niemand soll sich in ein öffentliches Amt wählen lassen, wo er gezwungen ist, zum Schwert zu greifen.

7. Artikel über Eid ablegen bzw. Schwören: war ausnahmslos verboten

Dass insbesondere der Artikel 4, der Punkt „Gewaltlosigkeit“, weiter kontrovers diskutiert wurde, zeigt die schon genannte Auseinandersetzung in Nikolsburg zwischen Balthasar Hubmaier und Hans Hut (Schwertler, die Verteidigung richtig fanden, und Stäbler, die Gewalt in jedem Fall ablehnten). Hier in Österreich haben sich letztlich die Stäbler mit ihrem absoluten Pazifismus inklusive Verweigerung von Zahlung von Steuern zu Kriegszwecken und Ableistung von Wehrdienst durchgesetzt. Was ihnen allein schon deshalb Strafen des Staates eingebracht hat.

Bezeichnend ist das Fehlen des Punktes „Gütergemeinschaft“, der in der Beschreibung der Gemeinde in Vöcklabruck vorkommt:

Pfarrer Eichmeyer (S.30):

Sie sehen die Rettung der bedrohten Welt in der Rückkehr zum Urchristentum. Sie leben in christlicher Gütergemeinschaft, in sogenannten “Haushaben”, wo gemeinsam produziert und konsumiert wird.

Das Fehlen dieses Punktes zeigt, dass dies wohl eine spezielle Betonung der von Hans Hut bzw. später von den Hutterern beeinflussten österreichischen Gemeinden war, die in anderen Ländern nicht zwingend praktiziert wurde.

Wir haben von der gnadenlosen Verfolgung der Menschen gehört, die eigentlich keine „Reformation“, keine Erneuerung, wollten, sondern einfach eine „Restitution“, eine Wiederherstellung der Gemeindeform, wie man sie im Neuen Testament findet.

 

Vertreibung nach Mähren

Die Mandate und Verbote zwangen zur Flucht in Gebiete, wo keine Verfolgung herrschte. Das war zunächst Mähren, wie wir bereits gesehen haben:

Nikolsburg. Dort hat sich die Theologie und die Praxis der freikirchlichen Gemeinden gefestigt. Und dort kam es auch zu der schon geschilderten Diskussion um den Wehrdienst zwischen Stäblern und Schwertlern. 1528 kam es zur Trennung: 

200 Stäbler (ohne Kinder) verließen Nikolsburg und wendeten sich nach Austerlitz.

Austerlitzin Böhmen: Die Austerlitzer Gemeinde ab 1528 war bald ein Anziehungspunkt für andere Gemeinden aus Böhmen, aus Kossitz, und nicht zuletzt aus Tirol, angeführt von Jakob Hutter, geb. 1500 im Pustertal in Südtirol.Sie erwarben umfangreiche Grundbesitzungen und betätigten sich hauptsächlich im Töpferhandwerk und der Weberei. Die Täufergemeinschaft war, bis zu ihrer Ausweisung 1622, eine der größten in Böhmen.

Auspitzin Südmähren: Bald kam es zu einer weiteren Trennung: die Tiroler Gemeinden verließen Austerlitz und zogen nach Auspitz, wo sie sich 1531 mit zwei anderen Gemeinden zu einer zusammenschlossen. Größe dieser neuen Gemeinde: 3.200 Erwachsene. Und sie wuchs ständig weiter durch Zuzug aus Tirol, Schlesien, Schwaben und der Pfalz.

Hutterische: 1533 kam es zu einer inneren Spaltung, obwohl sie räumlich zusammenblieben: Jakob Hutter und die Tiroler trennten sich ab. Die Tiroler bekamen den Namen „Hutterische“.

In den Jahren 1535/36 kam es auch zur Verfolgung in Mähren. Was dazu führte, dass die Gläubigen entweder in die alte Heimat zurückkehrten, oder nach Polen und Preußen zogen.

Für Österreich bedeutete es jedenfalls, Zitat: „dass es in Oesterreich bald keine anderen Taufgesinnten mehr gab als Huterische und einige unbedeutende Reste von Schweizer Brüdern.“

Jakob Hutter wurde übrigens am 25.2.1536 vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck öffentlich verbrannt.

Gedenktafel für Jakob Hutter am Goldenen Dachl in Innsbruck

Link: http://commons.wikimedia.org

Besonders die Jahre zwischen 1563 bis 1592 bildeten den Höhepunkt der hutterischen Aktivitäten in Mähren. Die Chroniken sprechen von den „guten Jahren“, manchmal auch von der „goldenen Zeit der Hutterer“. Aufgrund aktiver Missionstätigkeit lag die Zahl der Konvertiten auch noch über der in der Gemeinschaft Geborener. An die 80 Bruderhöfe bestanden damals, mit mindestens 20.000 Bewohnern. Die Höfe bildeten noch keine selbstständigen Siedlungen, sondern befanden sich innerhalb der bestehenden Ortschaften. Die Zugezogenen übten ihre erlernten handwerklichen Tätigkeiten auch in den Gemeinden aus. Unter anderem gab es Uhrmacher, Brauer, Schmiede, Glaser, Töpfer, Seil- und Siebmacher, Bergarbeiter, aber auch Chirurgen und Ärzte, alles Berufe, die heute von den Hutterern nicht mehr ausgeübt werden. Hutterische Ärzte besaßen ein hohes Ansehen. So ist überliefert, dass sich der kranke Sohn eines Franz von Taxis im Jahre 1581 bei den Hutterern gesundpflegen ließ. Auch die hutterischen Schulen waren ihrer Zeit weit voraus und auch Nichthutterer schickten ihre Kinder dorthin.

Das hutterische Geschichtbuch berichtet, dass 1619 allein zwischen Juli und Oktober  neunundzwanzig hutterische Bruderhöfe von kaiserlichen Truppen zerstört wurden. 1622 befahl Kaiser Ferdinand II. den Hutterern im Rahmen der Gegenreformation, entweder zum katholischen Glauben überzutreten oder sein Land binnen vier Wochen zu verlassen.

Die Hutterer wurden bisher auch Habaner genannt. Ab dem 18. Jahrhundert änderte sich die Bedeutung dieses Begriffes: es wurde die Bezeichnung für Hutterer, die katholisch geworden waren und dennoch weiterhin auf den ehemaligen „Bruderhöfen“ lebten.

 

Vertreibung nach Osteuropa

Für die anderen begann die lange Wanderschaft der hutterischen Gemeinden.

Ungarn/Slowakei: Nach Beginn der Verfolgungen im benachbarten Mähren im Jahr 1622 fanden schließlich über 12.000 vertriebene Hutterer für 150 Jahre Zuflucht auf den oberungarischen/slowakischen Bruderhöfen.

Siebenbürgen: Etwa 2000 Hutterer zogen jedoch weiter in das damals ebenfalls zu Ungarn gehörende Siebenbürgen. Hier konnte auch Tonerde für die von den Hutterern betriebene Keramikproduktion abgebaut werden.

Die nach dem Krieg von österreich-ungarischer Seite intensivierten Rekatholisierungsmaßnahmen setzten den einzelnen Gemeinden immer stärker zu. Es kam zu zahlreichen Festnahmen und Konfiskationen auf den kommunal geführten Höfen. Ebenso drohten Zwangsadoptionen hutterischer Kinder. Die frühere Intensität der hutterischen Mission nahm ebenfalls stark ab. Die hutterischen Chronisten beschrieben diese Zeit schließlich als eine Zeit des Verfalls der Tradition und einer Abkehr vom Glauben. Durch die anhaltenden Kriege und Plünderungen sahen sich die Hutterer schließlich im Jahre 1685 dazu veranlasst, ihre Gütergemeinschaft gänzlich aufzugeben.

Die Gemeinschaft stand kurz vor ihrer Auflösung; zahlreiche Anhänger konvertierten nach Androhung von Zwang zum katholischen Glauben.

Im Jahr 1755 traf eine Gruppe von österreichischen Transmigranten aus Kärnten in Siebenbürgen ein, die von Kaiserin Maria Theresia wegen ihres protestantischen Glaubens zwangsumgesiedelt wurden. Sie hatten davor nichts von der Existenz der Täufer gewusst, waren von deren Prinzipien und Standhaftigkeit beeindruckt und schlossen sich diesen Hutterern an. Dadurch gaben sie der kleinen Gemeinschaft neue Impulse und auch die Gütergemeinschaft wurde 1762 neu eingeführt.

Walachei: ab 1767: Unter dem Druck der Rekatholizierung entschlossen sich 67 Anhänger, der noch in Freiheit lebenden siebenbürgischen Hutterer schließlich zur Flucht in die Walachei, einige zurückgebliebene zogen später nach. Aber durch das Kriegsgeschehen zwischen Türken und Russen verloren sie nahezu ihren gesamten Besitz.

Russland1770: Schließlich nahmen die Hutterer das Angebot eines russischen Adligen an, sich auf seinem Land in der Ukraine anzusiedeln. Dorthin zogen nach und nach z. B. aus der Gefangenschaft entlassene Hutterer nach. Es kam zu internen Streitigkeiten. Die Gemeinde verarmte zudem mit der Zeit und hatte auch mit dem Problem der Überbevölkerung zu kämpfen. Zeitweilig lebten fast 400 Siedler in der Gemeinde. Im Jahre 1818 kam es zu einem Bruch, der zur erneuten Aufgabe der Gütergemeinschaft führte. Zur Lösung ihrer Probleme nahmen sie die Hilfe der Mennoniten in Anspruch, welche in dieser Zeit Einfluss auf die Gestaltung der hutterischen Gemeinschaft nahmen. Es kam zur Spaltung in Eigentümler und Gemeinschaftler.

 

Vertreibung nach Amerika

Nordamerika: ab 1874. Die Ablehnung der allgemeinen Wehrpflicht, die ca. 1874 eingeführt wurde, schweißte die Gemeinde wieder zusammen. Sie entschloss sich, nach Nordamerika auszuwandern, da sich dort bereits Mennoniten angesiedelt hatten. Die Auswanderung erfolgte in drei Wellen zwischen 1874 und 1879. Aus der ersten gingen die Schmiede-, aus der zweiten die Darius- und aus der dritten Welle die Lehrerleut hervor.

Von den 1265 Übersiedlern gehörten nur rund 400 den „Gemeinschaftlern“ an. Diese bildeten eigene Gemeinden, aus denen sich alle heutigen Gemeinden entwickelten. Die übrigen Übersiedler konnten keine gemeinsame Kultur bewahren; viele von ihnen schlossen sich im Laufe der Zeit den Mennoniten an.

Trotz der Wirtschaftskrise in Kanada in den 1930er-Jahren ging es den Hutterern wieder recht gut. In der Folge hatten sie ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, das bis heute anhält. Aus der Krise in Russland hatten die Hutterer gelernt, dass zu große Gemeinden sich destruktiv auf den Zusammenhalt auswirkten. Eine Kolonie mit etwa 120 Bewohnern gründet deshalb eine Tochtergemeinde, in die die Hälfte der Bewohner umsiedelt.

USAab ca. 1940. Jedoch sahen sich die Hutterer während des Zweiten Weltkrieges einer zunehmenden Feindseligkeit in der Bevölkerung, sowie einer diskriminierenden Gesetzgebung ausgesetzt. Deswegen wurden auch wieder neue Kolonien in den USA gegründet. Die drei Gruppen der Hutterer zeichnen sich durch einen unterschiedlichen Grad der Offenheit gegenüber ihrer Umwelt aus. Jedoch leben alle Hutterer bis heute relativ abgeschottet von der Außenwelt.

 

Hutterer heute

Mit Stand 2013 leben in Kanada und den USA auf 265 Bruderhöfen etwa 45.000 Hutterer, die „nach der Lehr ihrer Vorväter“ in Gütergemeinschaft leben, Erwachsenentaufe praktizieren und Kriegsdienst ablehnen. Sie sprechen als „Kirchensprache“ einen alten tiroler-kärtnerischen Dialekt.

 

Die Mennoniten

Neben den Hutterern gibt es heute noch eine zweite Gruppe, die wie sie auf die Anfänge der Täuferbewegung als dritten Flügel der Reformation zurückgeht: die Mennoniten. Sie haben dadurch einen Bezug zu Österreich, dass viele ursprünglichen Hutterer im Laufe der Geschichte zu den Mennoniten überwechselten (siehe auch die Zeit in Russland).  Deshalb seien sie auch hier erwähnt:

Mennoniten gehen auf den Niederländer Menno Simons (die Person als Namensgeber der Bewegung hatte u.a. den Zweck, sie nicht von vornherein der Verfolgung als Freikirche auszusetzen…), der 1536 als katholischer Theologe die Überzeugungen der Täufer annahm. Im Unterschied zu manchen Strömungen in der Bewegung hat er sich von Anfang an für Gewaltfreiheit eingesetzt und damit in den Niederlanden und Norddeutschland viele Anhänger um sich gesammelt. U.a. durch Vertreibungen haben sie sich in der ganzen Welt ausgebreitet. Nach Angaben der Mennonitischen Weltkonferenz gab es im Jahr 2009 weltweit etwa 1,6 Mio. Gemeindeglieder. Regionale Schwerpunkte bilden unter anderem der mittlere Norden der Vereinigten Staaten und das Zentrum Kanadas (Manitoba), Paraguay, der Kongo und Äthiopien.

 

Die Amischen

Als Abspaltung der Mennoniten gibt es seit 1693 eine weitere Gruppierung, die im 18. Jahrhundert nach Übersee geflohen ist: Amische. Sie gehen zurück auf den Schweizer Jakob Ammann (Amisch davon abgeleitet). Grund: er war für strengere Bannverordnungen, Kleider- und Bartregeln usw. Wie andere täuferische Kirchen praktizieren die Amischen ausschließlich die Bekenntnistaufe und lehnen entsprechend der Bergpredigt Gewalt und das Schwören von Eiden ab. Sie stammen überwiegend von Südwestdeutschen oder Deutschschweizern ab und sprechen untereinander meist Pennsylvaniadeutsch. Amische führen ein stark in der Landwirtschaft verwurzeltes Leben und sind bekannt dafür, dass sie viele Seiten des technischen Fortschritts ablehnen und Neuerungen nur nach sorgfältiger Überlegung akzeptieren. Die Amischen legen großen Wert auf Gemeinschaft untereinander und Abgeschiedenheit von der Außenwelt. Zurzeit gibt es etwa 249.500 Amische (Stand 2010), die größtenteils in 427 Siedlungen in 28 Bundesstaaten der USA und in Ontario, Kanada leben.

Es gibt keine direkten Bezüge zwischen den Hutterern der Reformationszeit und den heutigen Freikirchen in Österreich. Aber es liegt derselbe Gedanke zugrunde: eine Restitution, eine Wiederherstellung der Gemeindeprinzipien, wie sie im Neuen Testament zu finden sind.

 

Wien: seit 1847

Die erste Rückkehr der freikirchlichen Lehre datiert meines Wissens aus dem Jahr 1847, als ein Wiener Ehepaar in seinem Haus Gottesdienste startete. Daraus bildete sich die erste Baptistengemeinde in Österreich. Wieder zunächst unter Verfolgung (Wikipedia April 2014):

„Für die Wiener Baptistengemeinde, die sich zu dieser Zeit noch nicht konstituiert hatte, begann eine lange Zeit der Unterdrückung und Verfolgung, an der katholische Kirche und Staat Hand in Hand beteiligt waren. Während eines Gottesdienstes führte die Polizei eine Hausdurchsuchung durch, beschlagnahmte Bibeln und Bücher und verhängte über die Anwesenden Arreststrafen. Bibeln und Schriften wurden vernichtet. In der Folgezeit war es bei Strafe verboten, öffentliche Versammlungen abzuhalten sowie das Abendmahl und die Taufe zu feiern. Kinder baptistischer Eltern wurden zwangsweise getauft.“

Das Recht auf freie Religionsausübung wurde erst vor gut 100 Jahren (1919) in Artikel 63 des Vertrages von Saint-German festgeschrieben:

… Alle Einwohner Österreichs haben das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.

Seit 2013 gibt es eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft mit dem Namen „Freikirchen in Österreich“ in der sich zum Zeitpunkt der Anerkennung fünf Gemeindebünde mit 166 einzelnen Gemeinden zusammenschlossen. Die Zahl der Anhänger (Mitglieder, Kinder und regelmäßige Besucher) wurde mit ca. 20.000 geschätzt.

„Die hier vereinigten Freikirchen stellen aber nicht die Gesamtheit der österreichischen Freikirchen dar. Daneben gibt es „weitere freikirchliche Gemeinden, denen sich die Freikirchen in Österreich verbunden fühlen.“ Die Gesamtzahl der freikirchlichen Christen in Österreich könnte etwa 50.000 betragen.“ (Quelle: wikipedia 4/2014)

 

Vöcklabruck: seit 1985

Es gibt natürlich keine direkte Verbindung zwischen der ersten Gemeinde in Jerusalem und der jetzigen Vöcklabrucker Freikirche. Nicht mal zwischen der Vöcklabrucker „Gemain“ zu Reformationszeiten und uns. Aber es gibt eine Verbindung dadurch, dass alle drei Gemeinden bestrebt waren bzw. sind, genau so zu leben, wie Gott es durch die Schreiber der Bibel vermittelt hat.

Eine große Rolle bei der Gründung der „Vöcklabrucker Freikirche“ spielt ein junger Bursche aus Ungenach, der nach dem zweiten Weltkrieg nach Kanada ausgewandert ist: der Ebner Franz. Er ist dort gleich am Anfang Christen begegnet, die den Glauben völlig anders gelebt haben, als er es bisher kannte. Er hatte schon immer an Gott „geglaubt“. Dass es ihn gibt. Aber Gott war irgendwie nicht so real für ihn. Das „Vaterunser” war eher Floskel, er hat sich nicht viel dabei gedacht. Deshalb war er überrascht, dass seine neuen Bekannten Gott wirklich als „Vater“ gesehen haben, der sie kennt und lieb hat. Der seinen eigenen Sohn geopfert hat, aus Liebe.

Franz Ebner war davon so beeindruckt, dass er in seiner alten Heimat dieses Evangelium der Rettung durch die Gnade Gottes bekannt machen wollte. 1985 hat er mit zwei anderen Familien aus Kanada (Fam. Poffenroth) und USA (Fam. Bryan) begonnen, Gottesdienste zu feiern.

  • Zunächst in einem Wohnzimmer in der Dürnau.
  • Dann, als mehr Menschen dazu kamen, im Festsaal vom Schloss Wagrain.
  • Danach im Festsaal der Arbeiterkammer.
  • Seit dem Bau der neuen Musikschule im dortigen Saal.
  • Am 18. September 2016 Festgottesdienst anläßlich der Fertigstellung des eigenen Gemeindehauses, Dr.-Alois-Scherer-Straße 21 (Ecke B 1).

Das Ziel der Vöcklabrucker Freikirche

Das Ziel der Vöcklabrucker Freikirche könnte man etwa so zusammenfassen:

„So glauben und so leben, wie es der himmlische Vater in seinem Wort anordnet“.

Jesus Christus wurde mal gefragt, was das wichtigste Gebot im Gesetz sei. Die Antwort:

  • „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot.
  • Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.“ (Matthäusevangelium, Kapitel 22, Verse 37-40)

Wir wollen Gott lieben. Indem wir auf sein Reden hören, im persönlichen Bibellesen, in Hausbibelkreisen, in Schulungen über die Bibel. Wir wollen den Nächsten lieben, innerhalb und außerhalb unserer Gemeinde.

Freuen würden wir uns, wenn mal jemand über uns dasselbe schreibt wie Pfarrer Eichmeyer über die Freikirche des Jahres 1528:

„Ihr Fleiß, ihre Tüchtigkeit und vollkommene Redlichkeit erwirbt ihnen hohes Ansehen im Volke.“

Und noch mehr freuen würde uns eine Beurteilung, die der von Leonhard Schiemer nahekommt (auch von Pfarrer Eichmeyer):

“Lienhard Schiemer (…)  war eine einzige Flamme, die sich zur Ehre Gottes, in der Sehnsucht nach der wahren Kirche und nach dem kommenden Gottesreich verzehrte. Wir neigen uns in Ehrfurcht vor diesem jungen Märtyrer. Sein Name soll in unserer Stadt und unserer Gemeinde unvergessen bleiben.”